Denomination

Wo steht die Ökumene heute? / Foto: iStock

Johanna Rahner zur Ökumene: Einigung statt Einheit

Die Theologin Johanna Rahner plädiert nicht für Einheit, sondern für versöhnte Verschiedenheit.

Die Theologin Johanna Rahner kennt das Verhältnis zwischen den Kirchen. Sie schätzt den gelebten Pragmatismus im ökumenischen Alltag, warnt aber auch vor einem Rückfall christlicher Kreise in antidemokratische und antimodernistische Zeiten.

Interview: Katharina Kilchenmann

«pfarrblatt»: Wie steht es um die Ökumene, Frau Rahner?

Johanna Rahner: Im Gemeindealltag ist Ökumene heute selbstverständlich. Katholik:innen und Protestant:innen pflegen gute Beziehungen, haben gemeinsame Projekte und arbeiten zusammen. Natürlich sind die konfessionellen Profile unterschiedlich, aber die offiziellen Differenzpunkte spielen in der konkreten Zusammenarbeit auf Gemeindeebene kaum noch eine Rolle. Doch was in den Gemeinden gut funktioniert, scheint auf Kirchenleitungsebene schwieriger umzusetzen sein.

Wo liegen denn die Schwierigkeiten?

Es geht um theologische Differenzen, aber auch um Mentalitätsunterschiede und um Machtfragen. Und es fehlt eine klare Zielbestimmung: Wohin soll uns die Ökumene führen? Was bedeutet denn Einheit der Kirche, wenn wir keine «Superkirche» werden wollen? Das ökumenische Zukunftsmodell «Einheit in versöhnter Verschiedenheit» mag zwar nach einer Mainstream-Floskel klingen, aber wir brauchen die unterschiedlichen Identitäten, weil sie die Buntheit des Christseins deutlich machen.

In der gelebten Praxis gibt es also viel Gemeinsames. Dennoch scheitert die strukturelle Annäherung immer wieder an Themen wie etwa der Eucharistie, des gemeinsamen Abendmahls.

Tatsächlich ist auf Kirchenleitungsebene die Eucharistiefeier immer noch ein Trennungsmoment. Dabei ist die gegenseitige Einladung zum gemeinsamen Herrenmahl oder eben Abendmahl auch theologisch und pastoral durchaus begründbar.

Im kirchlichen Alltag können evangelische Geschwister am katholischen Herrenmahl teilnehmen. Für viele Kirchenmitglieder ist es kaum noch nachvollziehbar, dass das ein Trennungsmoment sein soll.

Absolut, die eucharistische Gastfreundschaft wird gelebt, die Ausgrenzung ist überholt. Die klassischen Kontroversen sind so weit geklärt, dass sie einer Einladung nicht mehr im Wege stehen und die Gemeinsamkeiten überwiegen. Trotzdem gilt bis heute: Es kann keine Herrenmahlgemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft geben. Und hier stellt sich wieder die Frage: Welche Art von Gemeinschaft wollen wir? Ist es nicht sinnvoller, die Unterschiede der Konfessionen zu belassen, voneinander zu lernen, sich gegenseitig mit dem Anderssein herauszufordern oder sich zu ergänzen?

Um dieser neuen Denkweise gerecht zu werden, sprechen die katholischen und evangelischen Kirchen in Deutschland in einem aktuellen Text nicht mehr von Einheit, sondern von «Einigung als dynamischem Prozess».

Also will man mit der Ökumene nicht mehr alles oder nichts, sondern setzt auf eine schrittweise Entwicklung.

Genau: Nicht mehr die Utopie steht im Fokus, sondern das aktuelle Zusammenleben. So werden Zwischenstationen wie etwa die der eucharistischen Gastfreundschaft zu angemesseneren Lösungen. Und das christliche Leben kann auf gesellschaftliche Veränderungen dynamisch reagieren.

Tut man das möglicherweise auch aus Not, weil es immer weniger Kirchenmitglieder und immer weniger Geld gibt und die Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft schwindet?

Natürlich ist man gemeinsam in der Minderheit und braucht sich gegenseitig, aber das muss ja keine Schwäche sein.

Sie beobachten, dass sich in allen Konfessionen die aktuelle politische Situation spiegelt, und warnen vor einem Rückfall in antidemokratische Zeiten.

Tatsächlich gibt es derzeit innerhalb der Konfessionsgemeinschaften die Aufspaltung in konservativ-reaktionäre auf der einen und liberale Gruppen auf der anderen Seite. Interessant daran ist auch, dass sich die jeweiligen Gruppen über die Konfessionsgrenzen hinweg näher sind als ihren Geschwistern in der eigenen Konfession.

Das heisst, liberale Katholik:innen verbindet mehr mit liberalen Reformierten und konservative Reformierte können besser mit konservativen Katholik:innen?

Ja. Konservative aller Konfessionen beklagen einen Wertezerfall und haben gemeinsame Feinde wie den Säkularismus, den Zerfall der traditionellen Familie und den liberalen Zeitgeist mit LGBTQ, dem sogenannten «Genderwahn» oder dem Zwang zur Political Correctness. Diese Teile der Kirchen spiegeln die identitäre, reaktionäre Entwicklung, wie sie in der Gesellschaft zu beobachten ist. Besonders deutlich ist das derzeit in der russischen Orthodoxie: Der Patriarch Kyrill glorifiziert den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Widerstand gegen Gay-Pride-Paraden und den westlichen Wertezerfall generell.

Wie wirkt sich dieser Rechtsruck in den Kirchen auf die Ökumene aus?

Die Synergieeffekte zwischen identitären politischen Programmen und entsprechenden religiösen Einstellungen generieren brisante transkonfessionelle Allianzen. Wenn diese Allianzen fundamentalistische und antidemokratische Entwicklungen unterstützen, müssen wir gemeinsam als Kirchen entschieden dagegen Position beziehen.

Was Sie auch tun: Beim Katholikentag im vergangenen Mai in Erfurt, einer Gegend, in der die rechtspopulistische Partei AfD besonders stark ist, waren deren Mitglieder nicht eingeladen.

Tatsächlich hat kürzlich die Deutsche Bischofskonferenz zusammen mit entsprechenden Laiengremien entschieden, dass Mitglieder der AfD keine Funktionen innerhalb der katholischen Kirche haben dürfen. Weil ein nationalistisches, rassistisches Weltbild nicht zum Christsein und seinen Werten passt.

Ein starkes politisches Signal.

Ein dringend notwendiges. Das Parteiprogramm der AfD ist nicht mit dem christlichen Wertekanon vereinbar. Es gibt also gute theologische Gründe für ein solches politisches Statement.

Und dieser Entscheid ist durchsetzbar?

Absolut. Es wurden bereits einige aufgefordert, sich zwischen ihrem Amt in der Kirche und der Parteizugehörigkeit zu entscheiden. Man ist sensibel geworden; es gibt Anzeigen gegen Kirchenvertreter wegen grenzwertiger Äusserungen. Der konservative Rechtskatholizismus ist nachgewiesenermassen viel weniger verbreitet, als behauptet wird. Eine Umfrage vor zwei Jahren hat ergeben, dass über 90 Prozent der Kirchenmitglieder Reformen befürworten.

Die Kirche als Spiegel der Gesellschaft ist also mit denselben Problemen konfrontiert. Macht ihnen die aktuelle politische Grosswetterlage Angst?

Angst nein, aber sie erfordert eine besonders hohe Aufmerksamkeit. So wirken etwa Mentalitätsallianzen zwischen konservativen politisch-wirtschaftlichen und katholischen Gruppierungen oft im Hintergrund. Das ist nur schwer kontrollierbar. Trotzdem: Die Kirche ist nicht nur ein Spiegel, sie ist auch ein Teil der Gesellschaft, und sie ist definitiv mehr als Sonntagsgottesdienst und Frommsein. Die sozialpolitische und politische Reichweite der Kirche ist inzwischen grösser als die Religiöse. Und politische Verantwortung ist meines Erachtens Teil des Glaubens.

Johanna Rahner (61) ist Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen.
Ihre Forschungen und Veröffentlichungen decken unter anderem das Verhältnis von Religion, Kultur, Bildung, Politik und Gesellschaft sowie den Dialog der Weltreligionen in einer globalisierten Welt ab