«Kirchen sind nicht für sich selber da.» Gabriela Allemann, ref. Pfarrerin, Felix Klingenbeck, röm.-kath. Gemeindeleiter. Fotos: Neuenschwander
Ökumene in Münsingen
Ein Gespräch über Selbstprofilierung, Reformations-Jubiläum und gemeinsame Kraft.
Dass der christliche Vertreter an der Eröffnungsfeier des Gotthardtunnels ein katholischer Alt-Abt war, wurde von Teilen der reformierten Kirche nicht goutiert. Das ökumenische Verständnis zeigte sich augenfällig in einem ziemlich ramponierten Zustand. Wie lebt Ökumene in Kirchgemeinden und Pfarreien?
Gabriela Allemann, reformierte Pfarrerin und Felix Klingenbeck, Gemeindeleiter der römisch- katholischen Pfarrei, arbeiten beide in Münsingen seit neun Jahren ökumenisch zusammen. Ein Gespräch über Selbstprofilierung, Reformations-Jubiläumund gemeinsame Kraft.
«pfarrblatt»: Gabriela Allemann, Felix Klingenbeck – zugespitzt gesagt, am Gotthard hat es sich gezeigt. Die Ökumene ist ramponiert.
Gabriela Allemann: Ich denke, dass hier die Kommunikation gescheitert ist, nicht die Ökumene. Vielleicht zeigt das auch, dass wir Ökumene zu selbstverständlich nehmen und es eben doch Stolpersteine gibt, über die man reden muss.
Felix Klingenbeck: Diese Sache zeigt doch, dass es in der ganzen Diskussion über Ökumene immer wieder peinliche Profilierungseinschüsse von ganz verschiedenen Seiten gibt, die fordern: Jetzt müssen wir uns selber profilieren, ob katholisch oder reformiert.
Gabriela Allemann: Es gibt wohl auch die Angst, das eigene Profil zu verlieren. Man will zeigen, dass man trotz vieler Gemeinsamkeiten unterschiedlich ist. Ist das auch hier vor Ort in Münsingen zu spüren? Gabriela Allemann: Nein, hier weniger. Wir haben viele gemischte Familien und Ehepaare, das ergibt eine andere Ausgangslage.
Felix Klingenbeck: Bei Taufen, Firmungen und Beerdigungen nehmen logischerweise in der Diaspora auch reformierte Familienangehörige unkompliziert an katholischen Feiern teil.
Gabriela Allemann: Vor zwei Jahren wurde unsere reformierte Kirche renoviert und wir bekamen für Trauerfeiern Gastrecht in der katholischen Kirche. AmAnfang war noch eine gewisse Unsicherheit da, wie das bei den Menschen ankommt. Es war dann aber überhaupt kein Problem, was mir zeigte, dass die Unterschiede grösser gemacht werden, als sie effektiv sind.
Felix Klingenbeck: Das erlebten wir auch in unserem intensiven ökumenischen Labor mit den Kleinkinderfeiern. Es gab «Fiire mit de chline» auf reformierten Seite und «Kleinkinderfeiern» auf katholischer Seite mit je eigenständigen Vorbereitungsgruppen. Vor zwei Jahren kam dann die Idee der Zusammenarbeit auf.
Gabriela Allemann: Die Feiern laufen jetzt ein Jahr voll ökumenisch. Das Geheimnis des Erfolges war, dass wir den Prozess ergebnisoffen gestaltet haben. Wir hatten zwei funktionierende Gruppen. Niemand hatte Druck. Wir fanden einfach, es wäre stimmig, wenn wir zusammen feiern. Es sollte etwas Drittes, Neues werden.
Welche Bestandteile waren je Konfession unverzichtbar?
Gabriela Allemann: Für uns Reformierte war es ganz wichtig, dass es einen Vertiefungsteil gibt, also, dass die Kinder etwas machen können, etwas mit nach Hause nehmen können.
Felix Klingenbeck: Für die katholische Seite war ganz wichtig, dass die Feier ritualisiert wird, dass sie wiedererkennbar ist und dass es eine Feier ist und keine Unterweisung. Wir haben uns dann geeinigt, dass grössere Bastelarbeiten nach der Feier stattfinden. Und von unserer Seite kam auch der Wunsch, dass wir in den Feiern Bibelgeschichten erzählen und nicht ein beliebiges Bilderbuch.
Schön. Die Katholiken entdeckten die Bibel. Gibt es denn Kerzen im reformierten Gottesdienst?
Gabriela Allemann: Vor neun Jahren, als ich im Pfarramt anfing, war das relativ neu. Wir hatten damals schon eine Osterkerze. Und seit einigen Jahren kann man auch in unserer Kirche Kerzen anzünden und es werden Kerzen auch bei Trauerfeiern verwendet.
Felix Klingenbeck: Die gemeinsame Osterkerze kam dann etwas später.
Gabriela Allemann: Genau, seit zwei Jahren brennt in beiden Kirchen eine Osterkerze mit dem gleichen Sujet, welches jeweils von jemandem aus der katholischen Pfarrei gestaltet wird.
Von was gehen Sie je persönlich aus, wenn Sie ökumenisch arbeiten?
Felix Klingenbeck: Wichtig für mich ist die Erkenntnis, dass die gemeinsame Geschichte länger ist als die getrennte. Im Aaretal beispielsweise stand die erste Kirche in Kleinhöchstetten um 700. Es gibt also 800 Jahre gemeinsame Geschichte, und es gibt nicht ganz 500 Jahre getrennte Geschichte und etwa fünfzig Jahre ...
Gabriela Allemann: ... wo man sich wieder annähert.
Felix Klingenbeck: Genau. Und das hat ja auch inhaltliche Komponenten, wie eine Einheitsübersetzung der Bibel, einen gemeinsamen Gebets- und Liederschatz bis hin zu gemeinsamen Projekten. Alles, was damals kirchentrennend war, ist heute mehrheitlich theologisch aufgearbeitet.
Gabriela Allemann: Ich gehe von der Geschwisterlichkeit aus, die wir als Christinnen und Christen mit allen leben sollen. Das geht dann über unsere konfessionelle Ökumene hinaus, da meine ich auch die interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit. Die konfessionelle Ökumene ist einfach ein Teil in diesem Ganzen. Wir wollen voneinander lernen, uns gegenseitig beschenken und beschenken lassen. Das ist mein Ausgangspunkt. Im Sinne des Paulus: Es gibt weder Mann noch Frau, weder Griechen noch Juden, wir sind alle eins in Christus.
Felix Klingenbeck: Meine tiefste Überzeugung ist, dass Kirchen nicht für sich selber da sind, sondern sie haben einen Auftrag den Menschen gegenüber. Dieser Auftrag vom Reich Gottes, vom Zusammenleben aller Menschen in Würde und Gerechtigkeit, das ist das Zentrum.
Das Reich Gott ist das Zentrum des ökumenischen Denkens, sagen Sie. Ganz persönlich: Wie kann man diesen Begriff knapp umschreiben, dass er fassbar wird?
Felix Klingenbeck: Gott ist die Kraft, die Menschen durchdringt und hilft, zu einem guten Zusammenleben aller Menschen beizutragen.
Gabriela Allemann: Gott liebt und leidet mit den Menschen und eröffnet die Perspektive, dass alles noch ganz anders sein kann.
Nächstes Jahr feiern die Reformierten 500 Jahre Reformation. Was bedeutet Ihnen dieses Jubiläum?
Gabriela Allemann: Ich sehe durchaus etwas Befreiendes, das wichtige «Semper reformanda », das immer in Bewegung Bleiben, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Eine reine Rückschau berührt mich nicht. Mir gehen die aktuellen Ereignisse wie die Flüchtlingsbewegungen näher. Das dünkt mich die grössere Herausforderung.
Felix Klingenbeck: Bei mir klingen verschiedene Sachen an. Ein Fest kann Kraft geben für die Aufgaben von heute. Bei der Reformation wurde der Ruf nach Veränderung nicht ernst genommen, es kam zur Spaltung. Das erinnert mich an die aktuelle Situation in der katholischen Kirche, wo der Ruf nach Reformen ungehört verhallt.
Gabriela Allemann: Das Reformationsjahr könnte ein Mahnruf an beide Kirchen sein, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Felix Klingenbeck: Genau. – Die Gefahr eines solchen Jubiläums ist, dass gefeiert wird, was abgrenzt von den andern. Da droht die Selbstprofilierungsfalle, vor der keine Ebene der Kirche gefeiht ist.
Gabriela Allemann: Konkret vor Ort gibt es ja viele Themen, die wir zugunsten von Menschen gemeinsam viel besser angehen können. Ich denke da an unsere Veranstaltung vor ein paar Jahren wegen der gehäuften Suizidfälle am Bahnhof Münsingen.
Felix Klingenbeck: Wir organisierten eine Informationsveranstaltung mit Fachpersonen. Die betroffene Bevölkerung sollte sich aussprechen können.
Gabriela Allemann: Es ist uns damals gelungen, das Tabu zu brechen, über Suizid und die Auswirkungen zu sprechen…
Felix Klingenbeck: …und wichtig war mir die Wahrnehmung: Die Kirchen kamen als Hörende.
Gabriela Allemann, Felix Klingenbeck, herzlichen Dank für das Gespräch.
Interview: Jürg Meienberg
Ökumene – besser als ihr Ruf
In dogmatischen Fragen wird oft über ökumenische Fragen gestritten, Kirchenleitungen beschwören ihre Geschwisterlichkeit, aber machen sich dann doch gegenseitig das Leben schwer – die Ökumene scheint ein ständiges Auf und Ab zu sein. Wir fragen an zwei Orten nach, wie die Basis mit Ökumene umgeht – in Münsingen und in Münchenbuchsee. Und siehe da, Ökumene zeigt sich an der Basis vitaler, unverkrampfter und mutiger, als man vermuten könnte. Vor Ort ist sie besser als ihr Ruf.
Jürg Meienberg