Eine Organspende sollte freiwillig sein, argumentieren christliche Kreise. Foto: iStock
Organspende: Die Frage nach der Freiwilligkeit
Die Abstimmung vom 15. Mai aus christlicher Perspektive
Soll ich nach meinem Tod Organe spenden? Und wie explizit soll ich meinen Willen dazu äussern müssen? Fragen rund um die Abstimmung zum Transplantationsgesetz vom 15. Mai und Antworten aus christlicher Perspektive.
Von Sylvia Stam
Soll ich einer Organspende explizit zustimmen oder widersprechen müssen? Um diese Frage geht es bei der Abstimmung über das Transplantationsgesetz (siehe Kasten). Befürworter:innen gehen davon aus, dass mit der Widerspruchslösung mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen werden, weil mehr Menschen ihren Willen äussern. Das schaffe Klarheit und entlaste die Angehörigen, argumentiert das Komitee «Ja zum Transplantationsgesetz». Tatsächlich konnten 2021 laut Swisstransplant 587 Organe transplantiert werden, während am Ende des Jahres noch 1434 Menschen auf ein Spenderorgan warteten.
Aus christlicher Sicht spricht nichts gegen die Organspende. «Für Christ:innen ist das Leben ein Geschenk Gottes», sagt der Theologe Thomas Wallimann, Leiter von «ethik22», dem Institut für Sozialethik. Der Körper sei somit kein persönlicher Besitz und das ewige Leben nicht an körperliche Unversehrtheit gebunden. Der Katechismus nennt die Organspende denn auch eine «edle Tat», die allerdings nur dann «sittlich annehmbar» sei, wenn die Person der Spende zugestimmt habe.
Spende ist freiwillig
Mit diesem Argument der Freiwilligkeit lehnen kirchliche Kreise das Gesetz mehrheitlich ab: «Das Spenden von Organen ist ethisch wünschenswert, da es Menschen von Leiden befreien und das Leben von Menschen verlängern kann», sagt auch Peter G. Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik an der Universität Luzern. Es bestehe aber keine moralische Pflicht dazu, weil jeder Mensch selber über den eigenen Körper entscheiden könne. «Eine Organspende als Akt der Nächstenliebe muss also freiwillig erfolgen», so Kirchschläger, der sich im Referendumskomitee engagiert.
Thomas Wallimann warnt vor einer rein utilitaristischen Argumentation, welche dem Ziel, mehr Organe zu erhalten, alles unterordne, «also eben auch die Würde des Menschen, bzw. sein vermuteter Unwille zu spenden». Die Widerspruchslösung laufe Gefahr, den Menschen zu instrumentalisieren, indem sie den gesellschaftlichen Nutzen vor den Schutz der Würde stelle.
Frage nach der Identität
Auch die Bioethikkommission der Schweizer Bischofskonferenz hält die Widerspruchslösung für weniger ethisch als das aktuelle System und lehnt sie darum ab. Sie hatte als dritte Variante die sogenannte «Erklärungsregelung» ins Spiel gebracht, wonach die Bevölkerung regelmässig aufgefordert würde, der Organspende zu widersprechen, ihr zuzustimmen, den Willen dazu nicht zu äussern oder den Entscheid an eine Vertrauensperson zu delegieren. Diese Variante würde jedoch erst bei einer Annahme des Referendums allenfalls wieder Thema.
Zustimmung oder Widerspruch
Bisher sind Organspenden nur möglich, wenn die verstorbene Person ihr zu Lebzeiten zugestimmt hat. Ist dies nicht der Fall, liegt der Entscheid bei den Angehörigen («erweiterte Zustimmungslösung»). Um mehr Spenderorgane zu erhalten, schlägt der Bund eine Gesetzesänderung vor: Demnach gilt jede Person als Spender:in, ausser sie hat zu Lebzeiten einer Spende explizit widersprochen. Wenn der Wille nicht bekannt ist, werden auch hier die Angehörigen befragt («erweiterte Widerspruchslösung»). Sind keine Angehörigen vorhanden und liegt keine Willensäusserung vor, dürfen keine Organe entnommen werden. Gegen die Gesetzesänderung wurde das Referendum ergriffen, daher wird am 15. Mai über das Transplantationsgesetz abgestimmt.