Mitglieder der «Paroisse» an einem Fronleichnams- gottesdienst. Foto: kr
Paroisse in Bern: «Zuhause, das ist hier!»
Zum Abschied von Abbé Christian Schaller
Die «Paroisse de langue française» in Bern spiegelt die Vielschichtigkeit der Hauptstadt wider: Denn Bern ist eidgenössisch, diplomatisch-weltoffen, mehrsprachig und multikonfessionell zugleich. Vor diesem Hintergrund hat sich auch die Paroisse zu einer sehr starken und wichtigen Gemeinschaft entwickelt.
Raphaël Zbinden*
Tränen fliessen über die Wangen von Léa Bracher. Sie ist Präsidentin des Kirchgemeinderats der Paroisse. Auch die anderen Mitglieder der französischsprachigen katholischen Gemeinschaft sind traurig. Sie haben nämlich unlängst erfahren, dass sie ihr Pfarrer Christian Schaller verlassen wird. Der Bischof hat ihn in den Berner Jura entsandt, zurück in seine alte Heimat. Wie sehr der Abbé, der seit zehn Jahren in Bern tätig ist, hier geschätzt wird, versteht man auch ohne Worte. «Ich schlafe sehr schlecht … seitdem ich es erfahren habe», versichert Léa Bracher. Tränen und Unverständnis auch bei Jeannette und Serge Pillonel. Das Paar ist ein wichtiger Stützpfeiler der Paroisse. «Ich verstehe nicht, warum man uns unseren Pfarrer nimmt», beteuert Jeannette Pillonel.
Diakonie als Herzenssache
Serge Pillonel weist darauf hin, wie dankbar die Gläubigen dem Pfarrer sind. Der Priester war während seiner Zeit in Bern sehr umtriebig. Er rief zahlreiche Initiativen ins Leben, in der Paroisse selbst und darüber hinaus. Zu nennen ist etwa das «fondue communautaire» oder das «Repas de l’Agneau pascal» (Osterlamm-Mahl). Daneben hat er die diakonische Arbeit und die Gemeindearbeit insgesamt gestärkt.
Die Prairie beispielsweise liegt Christian Schaller sehr am Herzen. Hier erhalten Menschen aller Couleur eine warme Mahlzeit oder sie können sich in der Stube aufhalten. Der Ort wird explizit auch als Suppenküche für einen Teil der Stadt genutzt. Seit Covid arbeitet die Kirche mit der Stadtverwaltung zusammen, um auch am Sonntagabend Essen auszugeben. Während der Pandemie war dies die einzige noch geöffnete Essensausgabe. Das wird nun so bleiben. Jeden Sonntagabend werden im Durchschnitt 80 Mahlzeiten ausgeteilt.
Klein, aber standfest
Alle diese Aktivitäten hätten ohne das hochmotivierte Pastoralteam nie verwirklicht werden können, betont Christian Schaller. «Die Realisierung dieser Massnahmen verdanken wir in erster Linie dem starken Zusammenhalt und dem guten Willen aller. Vor allem können wir auf die Hilfe zahlreicher Freiwilliger zählen», versichert er.
«Solidarität und ein so grosses Engagement sind nicht in allen Pfarreien selbstverständlich», bemerkt Léa Bracher. Doch die Paroisse in Bern ist in vielerlei Hinsicht «untypisch». «Diese frankophone Pfarrei ist nicht-territorial», unterstreicht Abbé Schaller. «Ihre Mitglieder gehören auch den territorialen Kirchgemeinden ihres Wohnsitzes an. Wir haben keine eigene Kirche und teilen uns die Dreifaltigkeitsbasilika Bern mit anderen Gruppen und Gemeinschaften.»
Die Tatsache, dass wir uns als Minderheit fühlen, schweisst uns sicherlich noch stärker zusammen.
Christian Schaller
Diese Situation sei kein Nachteil. Neben den beiden Wochenendmessen auf Französisch werden am Dienstag und am Donnerstag noch zwei weitere Gottesdienste in der Sprache Molières abgehalten. «Samstags und sonntags nehmen 80 bis 100 Personen teil, und auch die Messen unter der Woche sind gut besucht», erläutert Christian Schaller. «Wir sind eben eine sehr lebendige Gemeinde», erklärt Jeannette Pillonel. «Für viele Menschen ist die Paroisse zur zweiten Heimat geworden, sie fühlen sich hier gut aufgehoben …»; «zuhause, das ist hier!», unterbricht ihn Jeannette Pillonel begeistert.
Eine Minderheit, die zusammenhält
Diese Tatsache lässt sich teilweise dadurch erklären, dass die französischsprachigen Katholik:innen in Bern in der Minderheit sind. Im Grossraum Bern mit seinen insgesamt über 400'000 Einwohner:innen sollen etwa 10'000 französischsprachige Menschen leben. Umgerechnet sind davon etwa 2800 katholisch. Im Register der Paroisse sind 950 Personen verzeichnet.
«Die Tatsache, dass wir uns als Minderheit fühlen, schweisst uns sicherlich noch stärker zusammen», so Pfarrer Christian Schaller. «Anfangs kamen viele französischsprachige Gläubige zu uns, weil sie anderswo nicht hingehen konnten». Angesichts der wachsenden Mobilität der Leute hat sich das jedoch inzwischen verändert, bemerkt Serge Pillonel. «Heute kommen die Menschen zu uns, weil sie hier etwas Besonderes finden», bekräftigt er. Daher kehren auch viele ehemalige Mitglieder der Paroisse, die sich mittlerweile in anderen Kantonen niedergelassen haben, spontan nach Bern zurück, vor allem zum Pfarreifest.
Eine bunt gemischte Gemeinde
Herr und Frau Pillonel sind gewissermassen das «Vorzeigepaar» der Paroisse, scherzt Abbé Schaller. Sie sind typisch für all die verschiedenen Menschen, die sich in dieser Gemeinschaft wie in einem Schmelztiegel verbinden. Serge kam vor 55 Jahren mit seiner Frau aus dem Jura, um in der Bundesverwaltung zu arbeiten. Damals galt für sie noch Wohnsitzpflicht in Bern. In der Paroisse erhielten sie die Möglichkeit, ihren Glauben in ihrer Muttersprache zu leben. Das dazugehörige soziale Netzwerk und die Gemeinschaft waren ihnen ebenfalls höchst willkommen. Die Realität in der Paroisse wurde in den letzten Jahren immer «dynamischer», das Kommen und Gehen der Menschen häufiger. Es hat sich alles weiterentwickelt.
Ein weiter Horizont
Der harte Kern der «Expats» aus der Westschweiz ist bis heute erhalten geblieben, wurde jedoch älter. Hinzu kamen in den letzten Jahrzehnten viele Gläubige aus anderen Ländern. Aktuell sind in der Paroisse 33 Nationalitäten vertreten, darunter Menschen aus den französischsprachigen Ländern Afrikas. Auch eine kleine Gruppe von Frankophonen aus Vietnam ist aktiv in der Paroisse. Eine weitere Gruppe sind französischsprachige Diplomat:innen. Manchmal besuchen auch Mitglieder des diplomatischen Korps Lateinamerikas die Messen.
Diese Vielfalt wird durchweg als Bereicherung erlebt. Léa Bracher, die vor 22 Jahren aus Kamerun kam, wurde daher einstimmig zur Kirchgemeindepräsidentin gewählt. Eine Sekretärin kommt aus dem Senegal, und ein anderes Ratsmitglied stammt ursprünglich aus Burundi. «Bis zum vergangenen Herbst hatten wir auch ein Mitglied mit Aphasie (Anmerk.: neurologische Erkrankung, die zu Sprachverlust führt). Das war eine sehr positive Erfahrung, und dieses Gemeindemitglied hat auch wirklich seinen Platz in der Gruppe gefunden. Ganz generell achten wir darauf, Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund und Horizont bei uns zu versammeln», betont Pfarrer Schaller. Die Gemeindemitglieder erinnern sich in diesem Zusammenhang gern an die Frau eines afrikanischen Diplomaten, die für die Fastensuppe Seite an Seite mit einem illegalen Einwanderer Kartoffeln schälte.
Bundesräte auf dem Gang
Dieser Wille, dass alle teilhaben können, ist überall im Pfarreikomplex spürbar. Konkret in der Basilika und den Konferenzräume und Begegnungsstätten der Rotonda sowie den Räumlichkeiten der französisch- und deutschsprachigen katholischen Pfarrei.
Wir werden alles daransetzen, das Werk von Abbé Schaller fortzuführen.
Serge Pillonel
In den Räumen werden regelmässig kirchliche Veranstaltungen abgehalten, sowohl die der Kirchgemeinde selbst als auch Events von kantonaler und nationaler Bedeutung. Organisationen aller Art, die in der Bundeshauptstadt aktiv sind, halten hier ebenfalls Versammlungen ab. Die Basilika liegt nur wenige Gehminuten vom Bundeshaus entfernt. Deshalb kommt es öfter vor, dass hier auch politische Zeremonien abgehalten werden. Die Konferenzräume werden ihrerseits von unterschiedlichen Eidgenössischen Departementen angemietet. «Manchmal läuft man auf dem Gang sogar dem einen oder anderen Bundesrat über den Weg», amüsiert sich Abbé Schaller.
Das ökumenische Fondue
Die Paroisse pflegt sehr gute Beziehungen zur deutschsprachigen Gemeinschaft und zur reformierten Kirche. Christian Schaller ist schliesslich Pfarrer sowohl der Paroisse als auch der Pfarrei Dreifatligkeit. In der Basilika werden regelmässig zweisprachige Messen abgehalten. Das «fondue communautaire» (Pfarrei-Fondue) wird normalerweise am Sonntag in der Gebetswoche für die Einheit der Christen gemeinsam mit den Reformierten organisiert. Das Pfarreifest, bei dem über 300 Mahlzeiten serviert werden, wird ebenfalls gemeinsam mit den deutschsprachigen Katholik:innen und den Reformierten gefeiert.
«Wir sind also eine sehr grosse, solidarische, feierfreudige und vielfältige Familie, im Zentrum Berns.» Abbé Schaller gibt zu, diese Gemeinde nur sehr ungern zu verlassen. «Wir werden gewiss alles tun, um sein Werk fortzusetzen und die von ihm initiierten Projekte mit Leben zu füllen», versichert Serge Pillonel, noch immer mit feuchten Augen.
Hinweis: Der Abschiedsgottesdienst für Christian Schaller findet am Sonntag 27. August um 11.00 Uhr in der Basilika Dreifaltigkeit statt.
Christian Schaller kam 2013 als Pfarrer der «Paroisse de langue française» nach Bern. Darüber hinaus war er Co-Dekan und priesterlicher Leiter der Pfarreien der Region Bern. 2016 übernahm er ebenfalls die Leitung der Pfarrei Dreifaltigkeit. Aus diesem Grund gab er die übrigen Ämter ab. Er ist Domherr des Standes Bern im Bistum Basel. Ende August beendet er seine Tätigkeit in Bern. Ab Oktober wird Christian Schaller im Vallon de Saint Imier und im Vallée de Tavannes im Berner Jura als Pfarrer tätig sein.
Mehr zum Thema: «Gastfreundschaft als Leitmotiv», «pfarrblatt»-Interview mit Christian Schaller aus dem Jahr 2017
*Erstpublikation in französischer Sprache auf cath.ch
Bearbeitung kr. Übersetzung aus dem Französischen: Sarah Iseli