Porträt von Pater Grégoire Girard, 1850, Jean-Baptiste Bonjour, Öl auf Leinwand. Foto: Musée d’art et d’histoire Fribourg

Père Girard und das katholische Bern

01.03.2017

Über den ersten katholischen Priester Berns nach der Reformation.

Grégoire Girard war der erste katholische Priester in Bern nach der Reformation.

Bern, 1528. Die Wirren der Reformation haben auch die Zähringerstadt erfasst. Der protestantische Glaube wird ausgerufen. In den folgenden Jahrzehnten, genauer gesagt bis 1798, bleibt die kleine katholische Gemeinde Berns eine tolerierte Splittergruppe. Messe und Kultus sind verboten, von einer wirklich pastoralen Gemeinschaft kann keine Rede sein. So bleibt es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, bis Napoleon kommt. Und mit ihm der Franziskanerpater Grégoire Girard auf den Plan tritt.

Katholische Wiedergeburt
Mit der französischen Herrschaft über Bern verabschiedet sich die Stadt 1798 vom alten Feudalismus. Im nächsten Frühjahr findet auch die erste katholische Messe seit Langem in Bern statt: im Chor des Berner Münsters, zelebriert von Père Girard.Der gebürtige Fribourger tritt mit 16 Jahren in den Franziskanerorden ein. Nach Studien in Fribourg und Deutschland wird er 1799, im jungen Alter von 34 Jahren, nach Bern berufen: Die neue helvetische Regierung will ihn als «Minister des katholischen Kultus». Mit Vollmachten des Bistums sowie der nötigen Erfahrung als Priester, Seelsorger und Religionslehrer ausgestattet, macht er sich daran, eine neue katholische Gemeinde aufzubauen. Mit Feingefühl für konfessionelle Differenzen und dem Fokus auf die Gemeinsamkeiten der beiden christlichen Gemeinden blüht die katholische Gemeinschaft im friedlichen Nebeneinander mit den Reformierten auf.

Bildungsreform à la Girard
Girards Hauptinteresse liegt jedoch nicht bei der Pfarreiarbeit. Zeit seines Lebens steht die Bildung und Erziehung der Kinder für ihn im Zentrum. Er beklagt die teilweise skandalöse Überfüllung der öffentlichen Schulen, deren Mangel an geeignetem Unterrichtsmaterial und die schlechte Ausbildung der Lehrer.
1798 ruft Philipp Albert Stapfer, Helvetischer Bildungsminister, alle Sachverständigen auf, Vorschläge für ein unentgeltliches, obligatorisches Schulsystem zu unterbreiten. Girards Vorschläge sind visionär. Er skizziert das schweizerische Schulsystem so, wie wir es heute kennen: mit Primar- und Sekundarschule, Gymnasium, einem modernen Fächerkanon sowie grundsätzlichen Ansichten zum Bildungsauftrag des Staates, der auch darin bestehe, den Bürgern Werte wie Vernunft, Glaube, Liebe und Gemeinsinn mitzugeben. Im Speziellen liegt ihm auch der Sprachunterricht am Herzen. Ihn versteht er als Methode, auch soziale und moralische Werte und Inhalte zu vermitteln. Zudem entwirft er das Konzept des wechselseitigen Unterrichts, welches auch heute noch Anwendung findet: Ältere Schüler unterweisen jüngere auf der Basis ihres Gelernten.
Nach dem Ende der Helvetik kehrt Père Girard 1803 nach Fribourg zurück, die Zahl der Katholiken in Bern sinkt in der Folge von 1000 auf 400. Der Grundstein für eine katholische Gemeinde in der Stadt ist jedoch gelegt: Und das Schulkonzept Girards sollte fortbestehen und das Bildungssystem der Schweiz mitbestimmen.

Sebastian Schafer

Hinweise
Buch: Beat Bertschy (Hrsg.): Der wechselseitige Unterricht. Texte zu Schulentwicklung und Unterrichtsqualität, 1798-1844, Chronos Verlag 2015, 248 Seiten, Fr. 38.–Internet: www.peregirard.ch/de