Heinrich Gisler: Der neue Präsident der röm.-kath. Landeskirche des Kantons Bern muss grosse Umwälzungen und Veränderungen moderieren und bewältigen. Foto: Pia Neuenschwander
Permanente Wegsuche
Synodalratspräsident Heinrich Gisler im Gespräch über das neue Kirchengesetz und die Herausforderung, stets wieder andere Wege zu finden.
Heinrich Gisler, 70, präsidiert seit Juni dieses Jahres den Synodalrat der römisch-katholischen Landeskirche. Er trat die Nachfolge von Claire Haltner an, die kurz nach ihrer Wahl erkrankte und deshalb zurücktreten musste. Nun steht die Revision des Kirchengesetzes an. Aber nicht nur als SAC- Tourenleiter ist sich Heinrich Gisler Herausforderungen gewohnt.
«pfarrblatt»: Was bedeutet Ihnen die römisch-katholische Kirche?
Heinrich Gisler: Geborgenheit, Zufluchtsort, Kraftspenderin.
War das immer so oder hat sich das entwickelt? Nein, das hat sich entwickelt.
Ich bin in einem streng katholischen Umfeld im Kanton Uri aufgewachsen. Wir gingen noch dreimal während der Woche in die Kirche, vor der Kommunion durften wir nichts essen, der Beichtstuhl war Pflicht, auch wenn man meistens nichts zu beichten hatte. Als Jugendlicher hoffte ich auf positive Veränderungen im Nachgang des II. Vatikanischen Konzils.
Was hatten Sie sich erhofft?
Vom Konzil eine Öffnung, eine moderne Kirche, die die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nimmt und sich von den allzu starren Regeln lösen kann. Die Kirche stand für mich aber nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. Ich war zwar in der Jungwacht stark engagiert, übernahm als Gruppenleiter erste Führungsaufgaben und sammelte Erfahrungen, von denen ich später sowohl im Berufsleben als auch im Militär profitieren konnte.
Blieb auch für Ihre Familie mit zwei Kindern die Kirche ein Zufluchtsort?
Ja, selbstverständlich. Wir haben unsere Kinder katholisch erzogen. Wir liessen ihnen aber die Freiheit, selber zu entscheiden, wie weit sie sich einlassen auf die Kirche. Doch irgendwie färbte das Vorbild Vater auch auf die Tochter ab: Auch sie war während vielen Jahren Mitglied der Jubla und ebenfalls Gruppenleiterin.
Heute stelle ich fest: Die Kirche hat sich seit meiner Jugend sehr zum Positiven gewandelt. Ich kenne jemand, der vor 50 Jahren als Kind in einer Mischehe aufgewachsen ist und deshalb vom katholischen Religionsunterricht ausgeschlossen wurde. Das ist heute zum Glück nicht mehr denkbar.
Diese Erfahrungen waren aber schon einschneidende Erlebnisse.
Sicher. Zum Glück sind sie vorbei. Es gab aber schon in unserer Jugendzeit Geistliche, die sich nicht so fundamentalistisch verhielten und toleranter waren im Umgang mit diesen Themen. Ich mache der Kirche als Kirche keinen Vorwurf.
Blieb das auch so, als der Missbrauchsskandal weltweit zum Thema wurde?
Ich verurteile und verabscheue jede Form des Missbrauchs, wer immer sich dafür schuldig macht. Ich bedaure, dass die Kirche so lange schwieg und nicht handelte. Allerdings habe ich zu diesen Vorfällen eine fatalistische Haltung. Man schiesst auf katholische Geistliche, bringt einen ganzen Berufsstand in Misskredit, obwohl man weiss, dass es nicht nur diese betrifft.
Das macht den Fakt des Verbrechens nicht kleiner.
Natürlich nicht. Aber eine ganze Berufsgruppe zu diskreditieren, geht nicht an. Auch deshalb nicht, weil einzelne und nicht sämtliche Geistlichen und kirchlichen Behörden versagten.
2013 hat die Bischofskonferenz den Begriff Synode für eine Laienbehörde kritisiert, ja sogar den Begriff Kirche. Statt Landeskirche sollte «Kirchliche Körperschaft» als Bezeichnung verwendet werden. Jetzt heisst in der ersten Lesung der neuen Kirchenverfassung der Synodalrat Landeskirchenrat. Ist das nun ein Einknicken vor der Hierarchie oder ein Protest?
Nein, die Arbeitsgruppe fand, dass die Begriffe Synode und Synodalrat eher in der reformierten als in der katholischen Tradition anzusiedeln sind und ersetzt werden sollten. Dies auch, weil eine klare terminologische Abgrenzung zwischen kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Institutionen den Dualismus innerhalb der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz hervorhebt und damit zur Rechtssicherheit beiträgt.
Die Verwendung der neuen Begriffe führt zu einer Modernisierung der Kirchenverfassung und zu einer Klarheit über die Aufgaben dieser Organe. Und was den Begriff Landeskirche betrifft: Den gibt es in allen Kantonen immer noch, trotz der Forderung der Bischofskonferenz.
Die röm.-kath. Landeskirche hat den Entwurf des neuen Kirchengesetzes gutgeheissen.
Präziser: Es liegt ein Entwurf der neuen Kirchenverfassung vor, der Anfang Oktober in die Vernehmlassung ging. Bis Ende Januar sollen die Antworten aus den Kirchgemeinden eintreffen. Anschliessend wird die Synode im Juni 2018 im Rahmen der ersten Lesung und im November bei der zweiten Lesung Stellung nehmen können. Darauf folgen die Abstimmungen in den Kirchgemeinden. Erst dann kann man sagen, dass die neue Kirchenverfassung unserer Landeskirche gutgeheissen wurde und sich unser Landeskirchenparlament nach der neuen Ordnung konstituieren kann.
Im vorgeschlagenen neuen römisch-katholischen Landeskirchenrat wird die Pastoral geschwächt, weil die Seelsorge nur noch über den Sitz des Bistumsvertreters wahrgenommen wird und nicht mehr direkt aus den Pastoralräumen.
Nein, die Pastoral wird nicht geschwächt. Der Vorschlag lautet, dass die Pastoral im Landeskirchenparlament und im Landeskirchenrat keine Sitzgarantie mehr hat, weil sie im Landeskirchenrat durch das Bistum vertreten wird, da dieses den Seelsorgenden hierarchisch übergeordnet ist. Das ist ein Vorschlag. Ich bin gespannt auf die Antworten in der Vernehmlassung.
Es bleibt zudem bei den territorialen Vertretungen im Parlament. Eigentliche Fraktionen sind nicht vorgesehen.
Diese Frage wurde intensiv diskutiert; die territoriale Vertretung schien wie bisher die praktikabelste Lösung. Fraktionen würden eine Verpolitisierung der Kirche bedeuten. Das wollen wir nicht.
Das definitive Ja des Grossen Rates zum Landeskirchengesetz des Kantons Bern steht noch aus, oder?
Ja, bisher hat die erste Lesung stattgefunden. Es gab etliche Änderungsvorschläge, die aber alle abgelehnt wurden. Mein persönliches Fazit: Der Grosse Rat ist ausserordentlich kirchenfreundlich. Es gab kritische Voten, ja, aber die Entscheide waren sehr pragmatisch und durchwegs zugunsten der Landeskirchen. Das war doch sehr eindrücklich.
Es gab einen Vorbehalt. Finanziell seien die reformierten Kirchen bevorteilt.
Richtig. 30 von 32 Kirchgemeinden und der gesamte Synodalrat waren ursprünglich mit der Finanzverteilung, wie sie der Kanton vorgeschlagen hatte, nicht einverstanden. Bemängelt wurde die Ungleichbehandlung der Landeskirchen.
Der Regierungsrat trat jedoch auf das Begehren unserer Landeskirche nicht ein. Der Synodalrat bedauert diesen Entscheid, akzeptierte ihn aber aufgrund seiner realpolitischen Lagebeurteilung.
Als Aussenstehender verstand man nicht, dass die Einigkeit nicht in den direkten Gesprächen unter den Landeskirchen erreicht werden konnte.
Natürlich fanden Gespräche zwischen den Landeskirchen und den Behörden statt. Allerdings machte der Regierungsrat unmissverständlich klar, dass das Kostendach von rund 75 Millionen nicht nach oben verändert werden kann. Ein Eintreten auf unsere Forderungen hätte unweigerlich eine Kürzung der Leistungen an die Reformierten zur Folge gehabt.
Das wollte auch die römisch-katholische Landeskirche nicht. Und zu guter Letzt wollte auch der Synodalrat die gute ökumenische Zusammenarbeit nicht gefährden. Politik funktioniert halt einmal so: das Wünschbare einfordern und schliesslich das Machbare realisieren.
Die Grünliberalen sagen, es ändere gar nichts mit dem neuen Kirchengesetz, da werde nur Geld verschoben, sonst nichts.
Natürlich handelt es sich bei dieser Revision nicht um das Nonplusultra. Es ist aber ein erster Schritt. Für uns bedeutet sie eine erkennbare Weiterentwicklung der Partnerschaft zwischen dem Kanton und der Landeskirche, und sie stärkt gleichzeitig unsere Autonomie.
Als Fazit – ist die jetzige Lösung ein guter Kompromiss?
Ja, wir setzen alles daran, dass diese Lösung umgesetzt werden kann. Zusätzlich nutzen wir die Gelegenheit, auch kirchenintern über die Bücher zu gehen. Mit Blick auf die Zukunft fragen wir uns im bereits angestossenen Prozess «Perspektiven 2020», was die römisch-katholische Kirche im Kanton Bern leisten kann und muss.
Das Ganze erinnert an eine Hochgebirgstour. Sie sind ja auch SAC-Tourenleiter.
Ja, ich leite gerne Hochgebirgstouren. Auch da verändert sich vieles schnell. Das sehe ich bei Bergtouren im Hochgebirge. Warme Sommermonate bedeuten mehr Gletscherspalten. Wo ich vor zwei Jahren noch problemlos vom Gletscher auf Fels wechseln konnte, war dies im Sommer 2017 nicht mehr möglich.
Also, die Suche nach neuen Wegen ist permanent gefordert.
Interview: Andreas Krummenacher/ Jürg Meienberg
Zur Person
Seit diesem Juni ist Heinrich Gisler neuer Synodalratspräsident der röm.-kath. Landeskirche. Er wohnt in Bern, ist 70 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Heinrich Gisler arbeitete seit 1986 bei der Generaldirektion PTT, war ab 1992 Bereichsleiter Sozialversicherungen und Vorsorge und Mitglied der Geschäftsleitung Personal Post. Er gehört der Pfarrei Guthirt Ostermundigen an. Heinrich Gisler ist Wanderleiter (Kirchgemeinde Guthirt, Ostermundigen) und Tourenleiter-SAC.
Kirchengesetzrevision und Perspektiven 2020
In drei Jahren soll aller Voraussicht nach das neue bernische Landeskirchengesetz in Kraft treten. Der Kanton Bern will die enge Verflechtung der anerkannten Religionsgemeinschaften mit dem Staat etwas aufbrechen.
Der erste Gesetzesentwurf im Grossen Rat fand eine überwältigende Mehrheit. Wird dem so vorgeschlagenen Gesetz im nächsten Frühling zugestimmt, müssen die Landeskirchen die Pfarrer und Gemeindeleitenden selber anstellen und entlohnen.
Für «Gesamtgesellschaftliche Leistungen» soll es aber entsprechend den heutigen Zahlungen Geld geben. Ausserdem werden die historischen Verpflichtungen des Kantons gegenüber den Kirchen abgegolten.
Für die Kirchen bedeutet das einen doch sehr grossen und tiefgreifenden Veränderungsprozess, der nun eingeleitet werden muss. Die röm.-kath. Landeskirche braucht neue Strukturen, neue Reglemente und vor allem eine neue Verfassung. Unter dem Titel «Perspektiven 2020» arbeiten bereits jetzt verschiedene Arbeitsgruppen an diesen Themen. Auch gibt es erste Resultate. Ein Entwurf der neuen Kirchenverfassung ging Ende Sommer in die Vernehmlassung.
Andreas Krummenacher