Für Armutsbetroffene können schon Behördengänge Unbehagen auslösen, sagt Emanuela Chiapparini Foto: Ruben Sprich
Perspektivenwechsel als Schlüssel zur Armutsbekämpfung
Pilotkurs an der Berner Fachhochschule
Auf dem Programm der Berner Fachhochschule steht im laufenden Semester ein kostenloser Pilotkurs zur Arbeit mit armutserfahrenen Personen. Erste Rückmeldungen sind vielversprechend. Für eine Fortsetzung werden nun finanzielle Mittel gesucht.
Von Luca D'Alessandro
Wie kann Armut bekämpft werden? Welche Methoden und Hilfsmittel eignen sich? Diese und ähnliche Fragen stehen im Fokus des sechsteiligen Fachkurses des Departements für Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule. Initiiert hat den kostenlosen Kurs Emanuela Chiapparini, Leiterin des Instituts Kindheit, Jugend und Familie. Er richtet sich an Fachpersonen aus dem Bereich der Sozialarbeit, die ihr Wissen durch Beteiligungsprozesse erweitern wollen, sowie an armutserfahrene Personen, die als Betroffene Bescheid wissen und sich thematisch aktiv einbringen können.
Durch die Arbeit im Verbund profitieren die Beteiligten voneinander, erwerben Kompetenzen und entwickeln mögliche Ansätze, um gegen Armut vorzugehen. Zur Anwendung kommt das Prinzip des Perspektivenwechsels: «Durch die Zusammenarbeit erhalten armutserfahrene Personen Einblick in die Arbeit von Sozialarbeitenden – umgekehrt können die Fachpersonen ihrerseits die Perspektive von Betroffenen einnehmen, eigene blinde Flecken aufdecken und damit noch spezifischere Projekte in der Armutspolitik entwickeln und umsetzen», sagt Emanuela Chiapparini.
Folgen von Armut lindern
Dass der Ansatz des Perspektivenwechsels zumindest teilweise einen Schlüssel zur Linderung der Folgen von Armut darstellen kann, zeigten die am 24. November vorgetragenen Projektvorschläge, die anlässlich des Pilotkurses von mehreren gemischten Gruppen aus armutsbetroffenen Personen und Fachpersonen ausgearbeitet wurden.
Die Vorschläge haben beispielsweise die Entstigmatisierung von Armut in der Gesellschaft zum Ziel. Oder sie sehen Konzepte und Anleitungen vor, damit sich armutsbetroffene Personen gegenseitig unterstützen können. Emanuela Chiapparini: «Für Menschen, die plötzlich oder bereits länger mit Armut konfrontiert sind, können wichtige Behördengänge, administrative Tätigkeiten und Anträge ein gewisses Unbehagen auslösen. Hier könnte die mobile Peerarbeit solide methodische Ansätze anbieten.»
Werkzeugkasten für die Schule
Dass Kinder besonders sensibel auf das Thema Armut reagieren, ist ein wichtiges Fazit des Kurses. Aus diesem Grund sieht ein Projekt die Sensibilisierung von Schulleitungen und Lehrpersonen sowie die Integration des Themas in den Lehrplan vor. Durch die sinnvolle Kombination bereits bestehender Tools von Caritas Schweiz oder Surprise und die Entwicklung weiterer Werkzeuge liesse sich das Thema Kindern nahebringen.
Das sei wichtig, denn «es kommt immer wieder vor, dass Eltern Schwierigkeiten haben, das Geld fürs Skilager oder die Schulreise ihrer Kinder aufzubringen. Wenn alle Schüler:innen einen sachlichen Zugang zum Thema erhielten, könnten sie die Situation armutsbetroffener Kamerad:innen besser nachvollziehen. Es findet ein Perspektivwechsel statt. Das Stigma fällt.»
Gemäss Emanuela Chiapparini stösst der Pilotkurs sowohl bei armutsbetroffenen Personen als auch bei Fachpersonen Sozialer Arbeit, bei Mitarbeitenden im Sozialdienst und Nichtregierungsorganisationen auf Resonanz: «Das Interesse für eine Fortsetzung ist da. Für uns gilt es nun, sowohl für die im Kurs entwickelten Projekte als auch die für weitere Durchführungen nötigen finanziellen Mittel zu akquirieren» – ein Appell, den die Professorin primär an Institutionen der öffentlichen Hand, kirchliche Organisationen und private Stiftungen richtet.