Eine Pflicht, aber mit einem Ziel: Das Wohl aller. Foto: iStock/south_agency

Pflicht

16.04.2019

Hubert Kössler eröffnet einen neuen Zugang zu einem ungeliebten Begriff

Das Wort hat einen schlechten Beigeschmack. Es klingt nach Vorschriften, Kontrolle und Gesetzen. Wenig Freiheit, Kreativität und Selbstbestimmung.

Für Immanuel Kant war die Pflichtgemässheit eines Handelns ein Kriterium für die Sittlichkeit: Richtig und gut ist jene Handlung, die nicht nur der Pflicht gemäss («Legalität») ist, sondern die aus Pflicht heraus («Moralität») erfolgt. Von Kant selbst wird erzählt, dass er auch sein privates Leben stark nach der Pflicht ausrichtete: Die Leute in Königsberg stellten die Uhr danach, wann er seinen täglichen Spaziergang machte. Das einzige Hobby, das er hatte, war die Herstellung von Senf. Und der Rest: Arbeit, Pünktlichkeit, Fleiss. Eben: Pflicht

Ist das erstrebenswert?

In seinem Roman «Deutschstunde» erzählt Siegfried Lenz die Geschichte eines Schülers, der als Strafe für sein Fehlverhalten – er war ungehorsam gewesen – einen Aufsatz schreiben muss: «Die Freuden der Pflicht». Das Buch spielt im Nachkriegsdeutschland, wo man die Aussage, jemand habe ja nur seine Pflicht getan, oft hörte. Lenz entlarvt diese Haltung als eine der Voraussetzungen für die Entstehung des Nationalsozialismus. Denn sie verhindert, dass die Menschen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Seit ich «Deutschstunde» gelesen habe, kann ich das Wort «Pflicht» nicht mehr so einfach unhinterfragt verwenden.

Vielleicht kann man aber auch einen anderen Zugang finden. Das Wort «Pflicht» kommt etymologisch von «pflegen». Hier schwingt etwas anderes mit: Ich pflege mein Hobby. Ich achte auf ein gepflegtes Äusseres. Vielleicht pflege ich einen kranken Patienten. Und das, was ich solcherart «pflege», ist meine Pflicht. Ich mache es mir zur Pflicht. Nicht, weil es irgendeine Obrigkeit mir vorschreibt, sondern weil mir die Sache wichtig ist, weil ich Verantwortung dafür übernehme. Ich entscheide mich für dieses Pflegen, für diese Pflicht.

So verstanden kann man der Pflicht tatsächlich etwas abgewinnen: Sie trägt dazu bei, dass das Leben glückt und gelingt.

Hubert Kössler

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