Haus der Religionen – Dialog der Kulturen: nötiger denn je! Foto: Stefan Maurer

Plädoyer: Religion für den Frieden

14.01.2015

Es ist unerträglich, wie sehr fundamentalistisch- religiöse Gewalttäter in den letzten Jahren und in diesen Tagen die Welt in Angst und Schrecken versetzen mit ihren Morden und Terroranschlägen. Dagegen gilt es die Stimme zu erheben: Ihr blindwütiger Fanatismus hat mit echtem Glauben nichts zu tun, sondern ist ein Missbrauch von Religion. Denn je religiöser ein Mensch ist, desto mehr setzt er sich für Frieden, Dialog und Versöhnung ein.

Der Mordanschlag auf die Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» in Paris von letzter Woche fordert uns Menschen – gerade auch religiöse Menschen – heraus, uns noch viel mehr und vertieft für den interkulturellen Dialog und den Frieden einzusetzen.
Als religiöse Menschen gilt es zu betonen: Kein Krieg ist heilig! Mord und Gewalttätigkeit sind nie gottgewollt! Zwar kennt jede Religion gewalttätige Traditionen in ihren Schriften und ihrer historischen Geschichte. Dies darf nicht verschwiegen oder verharmlost werden. Aber nichtreligiöse Menschen, Gesellschaften und Staaten können genauso gewalttätig sein. Irgendetwas im Menschen selbst – in seinem ganzen Evolutionsprozess und seinem Kampf ums Überleben – erweist sich immer wieder als gewalttätig. Darum sind alle Menschen dazu aufgerufen, sich auf das zu besinnen, was Gewalttätigkeiten und Kriege verhindert und was Verständigung und Frieden fördert. Religiöse Menschen müssen dabei jene Texte und Traditionen betonen und vorleben, welche dem Frieden dienen. Ein paar religiöse Friedenstexte seien hier – exemplarisch und fragmentarisch – genannt, weitere mögen folgen.

Nächstenliebe / In der Tora ist das biblische Grundgebot genannt: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst» (Levitikus 19,18). Nächstenliebe wird spezifisch auch für besonders Schutzbedürftige gefordert: «Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst» (Vers 34). Dies wird bekanntlich aufgenommen durch Jesus von Nazaret, als er nach dem höchsten Gebot gefragt wird (Markusevangelium 12,28-34). Jesus hat Gewaltlosigkeit und Feindesliebe gelehrt, um die Spirale der Gewalt zu überwinden: «Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen» (Matthäusevangelium 5,44).

Gewaltlosigkeit / Schon Buddha (um 500 v. Chr.) lehrt Gewaltlosigkeit. So sagt beispielsweise in einer Lehrerzählung ein Vater bei seiner Ermordung zu seinem Sohn: «Nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zur Ruhe, durch Nichtfeindschaft kommt Feindschaft zur Ruhe.» Die Tradition des Ahimsa – Gewaltfreiheit, «Nichtverletzen », «Nichttöten» – findet sich in den fernöstlichen Religionen sehr oft. Sie wird auch im hinduistischen Lehrgedicht Bhagavadgita, das sonst sehr kämpferisch geprägte ist, als Ideal für den einsichtigen, weisen Menschen formuliert: «Nichtschädigen, Wahrheit, Nichtzürnen, Nichtverleumden, Friede, Verzicht, Milde, Mitleid mit den Wesen, Scham, Nichtbegier …» (XVI, 2).

Leben retten / Der Koran nimmt Aussagen des Talmud auf (Sanhedrin, 23a–b), welche den Sinn des menschlichen Lebens in der Bewahrung eben dieses Lebens bestimmen: «Wer einen Menschen tötet, für den soll es sein, als habe er die ganze Menschheit getötet. Und wer einen Menschen rettet, für den soll es sein, als habe er die ganze Welt gerettet » (Sure 5:32).

Gebetswoche
Religiöse Menschen können, sollen und müssen sich für den Frieden einsetzen – sonst verliert ihre Religiosität jede Glaubwürdigkeit und Legitimation. Es liegt an uns einzelnen und an den religiösen Verantwortungsträgern, sich hier mit klaren Worten und mutigen Taten für den Frieden einzusetzen. Christliche Konfessionen können ihren Teil unter anderem darin leisten, indem sie vorleben, wie unterschiedliche Konfessionen / Überzeugungen zum Frieden miteinander finden können. Und indem sie ins Gebet für die Einheit der Christinnen und Christen auch das Gebet für den Frieden der Religionen mitaufnehmen.

André Flury