Vertrauen als Basis: Nora Refaeil. Foto: zVg

Populismus gegen Vertrauen

22.02.2017

Laut der Wissenschaft hat die Demokratie letztes Jahr gelitten. Nora Refaeil, Dozentin für Völker- und Menschrecht, macht sich Gedanken dazu.

Der Vertrauensverlust in die Politik ist kein US-amerikanisches Phänomen. Auch in Europa mangelt es vermehrt am Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Eliten und Institutionen. Ökonomische und soziale Faktoren begünstigen den Vertrauensverlust. Werte müssen verteidigt werden, meint Nora Refaeil in ihrem Standpunkt zum Thema. Da sind auch die Religionsgemeinschaften gefragt.

Von Nora Refaeil

Nach einer Analyse der Economist Intelligence Unit hat die Demokratie im letzten Jahr gelitten. Der Demokratieindex unterscheidet zwischen einer «vollen» Demokratie, einer mangelhaften Demokratie, einem hybriden sowie einem autoritären Regime. Basierend auf 60 Indikatoren, wird die Zu- oder Abnahme in fünf Kategorien gemessen: Wahlprozess und Pluralismus, Regierungsführung, politische Partizipation, politische Kultur und bürgerliche Freiheiten. Der soeben erschienene Bericht spricht von einer Rezession: Fast doppelt so viele Länder (72) verzeichnen einen Rückgang in der demokratischen Umsetzung und nur 38 Länder eine Verbesserung. Osteuropa erlebte die schwerste Regression, und die USA sind keine volle Demokratie mehr.

Der Rückgang der Demokratie in den USA ist nicht dramatisch. Es hat jedoch gereicht, um von der Kategorie «volle Demokratie» in jene der «mangelhaften oder brüchigen Demokratie» zu fallen. Doch warum? Dieser Abfall wird damit begründet, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Regierung und gewählte Beamte abgenommen hat, und zwar schon seit längerer Zeit. Trump hat dies also nicht verursacht, sondern den Umstand genutzt und davon mächtig profitiert. In seiner Antrittsrede hat er denn auch das Misstrauen gegen die zentralen Institutionen weiter geschürt. Eine kleine Gruppe in Washington hätte viel zu lange die Vorteile der Macht in Anspruch genommen, erzählte Trump, während das Volk die Lasten tragen müsse. Das Establishment, so sagte er, hätte sich selbst beschützt, aber nicht die Bürger. Er gab denn auch dem Volk allein die Herrschaft über die Nation. Und der Allmächtige würde das Volk schützen. Der Vertrauensverlust ist jedoch kein US-amerikanisches Phänomen. Auch in Europa mangelt es vermehrt am Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Eliten und Institutionen.

Zunächst einmal müssen wir uns klar sein, dass starke Institutionen entscheidend sind für den Frieden in einer Gesellschaft, denn diese stellen Verfahren für die Schlichtung von Konflikten bereit. Gemäss einem Bericht der Weltbank aus dem Jahre 2011 ist das Risiko von Gewalt und Konflikt am höchsten, wenn Stressfaktoren wie Armut und Diskriminierung auf schwache und illegitime Institutionen stossen. Die Gesellschaft ist verletzlich, wennInstitutionen die Bürger nicht vor Missbrauch schützen, ihnen keinen Zugang zur Justiz oder ökonomische Chancengleichheit gewähren. Woraus beziehen Institutionen ihre Legitimität? Drei Faktoren sind massgebend: technische Fähigkeit, Rechenschaftspflicht und Inklusion.

Nebst der Legitimität geht es aber hier um Vertrauen. Doch was bedeutet Vertrauen in diesem Zusammenhang? Geht es um die Vorhersehbarkeit? Die Berechenbarkeit und Planbarkeit? Nein, nicht nur. Vertrauen bedeutet, dass man davon ausgeht, dass man sich auf der Basis von gemeinsamen Normen und Werten engagiert. Institutionen zu vertrauen bedeutet, dass man weiss und anerkennt, dass die Werte und Normen, die eine Institution leiten, genügend Sinn machen für genügend viele Menschen und deshalb Geltung beanspruchen. Vertrauen können aber natürlich nur legitime und inklusive Institutionen beanspruchen.PhäGemässdem Bericht der Economist Intelligence Unit haben ökonomische und soziale Faktoren die Revolte gegen die Elite verursacht.

Gemäss dem Bericht sind die Ereignisse im 2016 mehr aber als alles andere eine Reaktion auf die Art und Weise, wie die Elite Politik betrieben hat, indem sie die Wählenden auf Distanz gehalten hat, Themen vermieden hat, die wichtig sind für die Menschen und in dem sie angenommen hat, dass alle ihre moralischen Werte teilen. Die Revolte des 2016 demonstriert, dass viele Wähler eben diese Werte nicht teilen und es satt haben, ignoriert zu werden. Und genau das hat Trump so gut ausgeschlachtet, indem er wie ein Mantra wiederholte, dass die Leute nicht mehr ignoriert würden, würden sie ihn nur wählen. Und das haben sie getan. Aber auch die meisten Brexit-Befürworter sagten zum Beispiel, dass sie praktisch keiner Institution trauen. Auf die Frage, wem sie denn vertrauten, gaben sie an: «Menschen, die so sind wie ich.»

Was heisst das nun für uns, die nicht so sind wie sie? Und was heisst das in Bezug auf den Populismus, der uns so heftig entgegenzuschlagen droht? Klar ist, dass wir dem Populismus nicht beikommen, solange wir die Polarisierung nicht überwinden. Denn nur Vertrauen als Basis für eine Verbindung löst die Polarisierung auf. Das bedeutet, dass wir unser Gegenüber nicht kleinreden, nicht beleidigen, nicht bevormunden, nicht verachten, sondern es ernst nehmen, auch wenn wir inhaltlich nicht einverstanden sind. Der Punkt ist, dass wir in unseren fundamentalen Bedürfnissen nach Sicherheit, sozialer Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstverwirklichung alle gleich sind. In dieser Hinsicht sind wir mit den Brexit- und Trump-Befürwortern gleich. Und gleichwohl müssen wir uns erklären, für unsere Normen einstehen und unsere Werte verteidigen und zwar auch, wenn wir diese immer wieder von Neuem aushandeln müssen. Um den Populismus auch im Sinne einer politischen Massenbewegung zu besiegen, brauchen wir Persönlichkeiten, die diese Arbeit übernehmen und in die Gemeinschaft hinaustragen: Frauen und Männer in der Bildung, der Politik, den Medien, der Kunst und den Religionsgemeinschaften.

Nora Refaeil arbeitet als Konsulentin in den Bereichen Vergangenheitsaufarbeitung und Friedensförderung und unterrichtet an der Universität Basel und an diversen Instituten und Akademien Völkerrecht, Menschenrechte und Transitional Justice.
Zuerst erschienen in «tachles» – Das jüdische Wochenmagazin, Nr. 5 / 3. Februar 2017

jm