Für die Wandlung von Hostien zum Leib Christi braucht es einen Priester. Foto: Paul Wuthe/ÖBK
Priestermangel ermöglicht liturgische Vielfalt
Priestermangel ist kein ernsthaftes Problem. Dies sagen drei Pastoralraumleiter aus dem Kanton Bern, die davon je unterschiedlich betroffen sind. Sie sehen darin eine Chance für liturgische Fülle.
Sylvia Stam
Von «Leiden» kann für Francesco Marra keine Rede sein. Der Leiter des Pastoralraums Oberaargau bringt damit auf den Punkt, was auch Manuel Simon, Pastoralraumleiter im Emmental, und Thomas Leist, Pastoralraumleiter im Seeland, bestätigen: Zwar gibt es immer weniger Priester, aber ein Problem ist das für sie nicht.
Priester für Sakramente
Gemäss Kirchenrecht sind Priester im Pfarreialltag vor allem für die Spendung von drei Sakramenten nötig: die Feier der Eucharistie, die Beichte sowie für die Krankensalbung. Die drei Pastoralräume sind unterschiedlich stark vom Priestermangel betroffen.
Im Seeland gibt es seit gut einem Jahr keinen im Pastoralraum angestellten Priester mehr. Man behilft sich derzeit mit einem pensionierten kroatischen Missionar. Im Emmental gibt es einen Priester, der als Pfarrer einer Pfarrei fungiert, und einen italienischen Missionar. Darüber hinaus kommt monatlich ein Aushilfspriester.
Im Oberaargau gibt es zwei Priester, dazu einen italienischen Missionar und denselben kroatischen Missionar wie im Seeland.
Sakrament oder Gemeinschaft vor Ort?
Die Nachfrage nach den Sakramenten der Versöhnung, also der Beichte, und der Krankensalbung ist klein, geht aus den Gesprächen hervor. Bleiben also die Eucharistiefeiern. Die Empfehlung des Bistums Basel lautet hierzu: Mindestens eine Eucharistiefeier im Pastoralraum an Sonn- und Feiertagen. Das ist derzeit in allen drei Pastoralräumen gewährleistet.
Die drei befragten Pastoralraumleiter halten die Eucharistiefeier zwar für wichtig. aber das Pfarreileben ist durch weniger Messen nicht gefährdet. Es komme darauf an, was man in den Vordergrund stelle: das Sakrament an sich oder die Gemeinschaft vor Ort und die Kontinuität der Beziehung zu ihr.
«Eucharistische Zentren»
«Manche Gläubige suchen ausschliesslich eine Eucharistiefeier», sagt Manuel Simon vom Pastoralraum Emmental. Diese gingen nach Utzenstorf, das einen eigenen Pfarrer hat, besuchten den italienischsprachigen Gottesdienst, sie führen in die Kathedrale Solothurn oder in die Pfarrei Dreifaltigkeit nach Bern.
Simon nimmt damit das Modell «eucharistisches Zentrum» vorweg, das Thomas Leist langfristig bei abnehmender Anzahl geweihter Männer skizziert. Nur in einer Pfarrei pro Pastoralraum würde künftig Eucharistie gefeiert. Die Gläubigen müssen somit einen Weg auf sich nehmen. Für jene, die nicht gut zu Fuss sind, könne ein Fahrdienst organisiert werden. Dies ist im Pastoralraum Oberaargau bereits der Fall. Allerdings: «Bisher hat dies noch niemand in Anspruch genommen», sagt Francesco Marra und deutet dies als Zeichen, dass den Menschen die Feier mit der Gemeinschaft am eigenen Ort wichtiger ist als nur eine liturgische Form.
Wortgottesdienst mit Kommunion
Gemeinschaft sei auch in Wortgottesdiensten mit Kommunionfeier erfahrbar, sagt Manuel Simon. Dort kommen die bereits geweihten Hostien aus dem Tabernakel. Daher können Kommunionfeiern auch von nicht geweihten Seelsorger:innen durchgeführt werden. Francesco Marra betont: «Viele Gläubige wollen zusammen feiern. Kommunion feiern wir, wo Communio (Gemeinschaft) ist.»
Thomas Leist betont die Kontinuität der Beziehung zur Gemeinschaft: «In Predigten lege ich Samen, auf denen ich im Laufe der Zeit aufbauen kann. Wenn man punktuell immer wieder fremde Priester für die Eucharistiefeier einfliegt, ist keine Kontinuität möglich. Das verhindert den Aufbau der Gemeinde.»
Priestermangel als Chance für Ökumene
Auch die drei Pastoralraumleiter betonen die Bedeutung alternativer Liturgieformen. Laut Manuel Simon wird das «liturgisch vielfältige Angebot» von den Gläubigen geschätzt. Konkret erwähnt er Taizé-Feiern, deren Fokus auf dem mehrstimmigen Gesang liege, Familiengottesdienste, bei denen (richtiges) Brot und Wein geteilt werde, ohne Einsetzungsworte. Am besten besucht seien die ökumenischen Gottesdienste, etwa in der Fastenzeit und in der Osternacht.
«Ohne Eucharistiefeier habe ich mehr ökumenischen Freiraum», sagt Simon. Priestermangel also als Chance für die Ökumene. Fällt die Messe als wichtigste Liturgieform weg, ermöglicht dies nicht nur andere Formen, sondern auch andere Vorsteher:innen. Francesco Marra erwähnt Maiandachten, Roratefeiern, Andachten zu Valentinstag oder Sankt Nikolaus. Solche Andachten würden auch von Katechet:innen durchgeführt, die eine gute liturgische Ausbildung hätten.
In seinem Pastoralraum bringen zudem drei Seelsorgehelfer:innen, die unter anderem einen Kommunionhelferkurs besucht haben, kranken Personen jeweils die Kommunion nach Hause oder ins Altersheim. «Sie feiern mit den Menschen einen Wortgottesdienst und teilen am Schluss die Kommunion aus.» Sie würden im Schnitt rund 50 Personen monatlich besuchen.
Verantwortung beim Kirchenrecht
Auch im Seeland hat man sich arrangiert. Hier leiten Liturgiebeauftragte an Werktagen und in Heimen Wortgottesdienste. Befähigt hat sie der Kurs «Wort-Gottes-Feier» am liturgischen Institut. Es gebe Rückmeldungen, wonach diese Gottesdienste gehaltvoller seien, als wenn eine Priesteraushilfe eingeflogen werde, sagt Thomas Leist.
Für ihn sind die Liturgiebeauftragten jedoch nicht bloss eine Antwort auf den Priestermangel. «Es geht darum, Menschen zu ermächtigen. Das ist im Kern die Idee von Kirche-Sein.» Dass diese alternativen Formen der Abendmahlfeier in traditionellen Kreisen nicht gut ankommen, liegt auf der Hand. Manuel Simon kann das verstehen, fühlt sich aber dafür nicht verantwortlich, denn Theolog:innen ohne Weihe dürften nach Kirchenrecht nun mal keine Eucharistie feiern.
«Dadurch gelangen alternative Feierformen in den Blick, die gerade für wenig liturgieerprobte, kirchendistanzierte Gemeindemitglieder zugänglicher sind als eine Eucharistiefeier», sagt Simon. «Insofern eröffnet der Priestermangel oder die ausbleibende Weihe von verheirateten Theolog:innen eine grössere liturgische Vielfalt.»
Anzahl Priester im Bistum Basel
Aktuell sind im Bistum Basel insgesamt 386 Priester im Einsatz, darunter pensionierte, die priesterliche Dienste leisten. 1994 waren es 617, 1950 noch 1044.