Franz Rosenberg (11. Juli 1939–20. August 2018) Foto: zVg
Radikale Theologie von unten
Zum Tod von Franz Rosenberg
Franz Rosenberg hat während 43 Jahren das Leben von Bümpliz geprägt. Das mag vielen Zeitgenoss*innen gar nicht aufgefallen sein, denn sein Wirken war ein stilles und unauffälliges Wirken wie er auch als Mensch still und unauffällig – und diskret – war.
Franz dachte und wirkte radikal von unten her, seine Theologie orientierte sich konsequent an Jesus von Nazareth. Kein Wunder, dass es ihn als jungen Mann erst einmal nach Afrika zog, mitten in den armen Kontinent nach Kipalapala in Tansania. Hier entstand seine tiefe Verbundenheit mit allen Arten von Befreiungstheologie.
Kein Wunder, dass er sich, wieder zurück in der Schweiz, in einer bedeutungslosen Randgemeinde niederliess, wo der Anteil fremder Menschen mit fremder Religion überdurchschnittlich hoch war. Hier musste er seinen theologischen Ansatz nicht proklamieren und predigen, sondern er lebte ihn Tag für Tag. Er achtete die Würde eines jeden Menschen unbesehen woher einer kam, unbesehen welch Religion eine hatte, unbesehen wie einer aussah, sprach, roch … das Pfarrhaus war ein offenes Haus (auch dank seiner Haushälterin Heidi Baertl). Und er respektierte eine jede Art von Religion, von kirchlicher Gemeinschaft und von Nicht-Religion. Diese Haltung hatte weitgehende Konsequenzen:
Franz ermöglichte in Bümpliz ein ökumenisches Zusammenwirken, wie es seinesgleichen kaum gibt. Loyal, aber ohne Furcht vor kirchlichen Würdenträgern, ohne Angst vor Anfeindungen verfolgte er konsequent seine Theologie, die keinen Ausschluss und keine Abschottung vertrug, sondern tiefen Respekt vor menschlichen Lebensvollzügen ausdrückte. Diese stille Revolution war immer theologisch durchdacht, verantwortet, durchbetet, im Evangelium verortet, ein Entwurf von menschlichem Zusammenleben, der seinen Anfang stets im Kleinen und Verborgenen nahm und nie im Pompösen.
Er nahm alle Menschen radikal ernst und sprach ihnen Wissen und Verantwortung in Glaubensdingen zu, weil er vom Wirken des Geistes in allen überzeugt war. Deshalb schuf er in der Pfarrei auch Raum für Menschen mit anderen Glaubensauffassungen, war bedacht, dass alle, die respektvoll mit anderen umgehen, Platz für eigenverantwortliches Wirken hatten. Seine Auffassung vom Amt des Pfarrers lässt sich vergleichen mit dem Wirken eines Gärtners: er hegt, sorgt für Schutz und Nahrung, setzt auf die Wachstumskräfte einer jeden Pflanze, hütet sich vorschnell zu urteilen, was Unkraut ist und was nicht.
Als Chef eines immer grösser werdenden Teams hiess das: er traute seinen Mitarbeitenden enorm viel zu, mischte sich selten ein, setzte auf die Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten jedes Menschen. Das trug ihm Kritik ein – von denjenigen, die nicht erkannten, dass hinter dieser Haltung eine konsequente und scharf durchdachte Theologie steckte, und die meinten, Franz habe die Entwicklung hin zum modernen Management verpasst.
Von wegen: seine Handlungskriterien wuchsen aus dem Glauben und aus der theologischen Reflexion; er liess sich von der modernen, effizienzgesteuerten Machermentalität nicht beirren. Entsprechend vielgestaltig war «seine» Pfarrei. Er weigerte sich konsequent, die gängigen Hierarchien zu berücksichtigen und nahm eine Sekretärin, einen Theologen, eine Putzfrau, einen Sakristan, eine nebenamtliche Katechetin, eine Haushälterin, eine Kirchgemeinderätin, eine Ministrantin oder eine Pastoralassistentin gleichermassen ernst.
So einer ist sich dann auch nicht zu schade, spätnachts durch die Kirche zu gehen und Kirchengesangbücher einzuräumen, Abfall zu entsorgen oder nach dem Pfarreifest mit dem Geschirrtuch bis ganz am Schluss in der Küche zu stehen. Eine solche Theologie setzt nicht in erster Linie auf den Chef, sondern auf den Heiligen Geist – und das ermöglichte Franz eine grosse Zuversicht und Gelassenheit und ein grosses Vertrauen: er musste nicht tun und machen und managen, sondern liess wachsen.
In besonderer Art und Weise hat Franz diese Haltung in der Liturgie vorgelebt: Er hat sich als Liturge buchstäblich zurückgestellt. Seine liturgischen Texte waren aufs Exakteste ausformuliert und theologisch durchdacht – Gott und seine Gerechtigkeit stehen im Mittelpunkt und nicht der Liturge.
Wer nachts an der Burgunderstrasse 124 vorbeikam, sah oft spätnachts noch Licht: Franz suchte nach passenden Texten oder schaute fern oder las: Sein Horizont war unglaublich weit – es gab kaum etwas, an dem er nicht teilnahm und worüber man mit ihm nicht diskutieren konnte: Kunst, Kultur, Fussball, Theater, Musik, Theologie, das politische Tagesgeschehen, die Kirche, ferne Länder… alles interessierte ihn, überall tauchte er auf.
Franz Rosenbergs radikale, furchtlose Theologie von unten war zutiefst jesuanisch. Sie könnte für eine Kirche auf stürmischer See wegweisend sein, denn sie geht auf die Wurzeln zurück – aber sie braucht Mut, viel Mut, ein grosses, fühlend Herz und ein gerüttelt Mass an Demut. Sein Namenspatron aus Assisi stand ihm sehr nahe – wie dieser zog er sich regelmässig zurück, nach Baldegg, auf die Bettmeralp...
Franz hat seine Haltung auch im Auf und Ab der Krebserkrankung mit all ihren Erschwernissen, Einschränkungen und Schmerzen nicht aufgegeben: gelassen, mutig und zuversichtlich hat er sich auf das nächste Wegstück gemacht.
Wir sind zutiefst dankbar, Franz gekannt zu haben, mit ihm ein Stück Wegs auf Erden gegangen zu sein und uns weiter von ihm inspirieren und ermutigen zu lassen.
François Emmenegger, Angelo Lottaz, Andreas Walpen
Die menschliche Grösse und theologische Haltung von Franz Rosenberg wurde für viele Kinder und Katechetinnen spürbar in seinem Mitwirken im Erstkommunionlager: er liess die Katechetinnen wirken, vertraute ihnen vollkommen und überliess ihnen die Verantwortung auch für den Gottesdienst – aber er war da, sehr präsent, als Unterstützer, Berater, Tröster, Schlichter, Mitbeter, er stand in der Küche, er liess sich einspannen für viele ungezählte kleine Arbeiten, er spielte mit den Kindern, liess ein jedes von ihnen spüren, dass es anerkannt und geschätzt ist, egal welcher Hautfarbe, egal aus welcher Familie, egal wie gescheit, egal wie frech oder angepasst, er spielte mit ihnen Fussball und war einer von ihnen.
Pfarrer Franz Rosenberg
Er ist ein Berner «Giel» der ursprünglich aus dem Kanton Aargau stammte und wegen der beruflichen Tätigkeit seines Vaters in der Bundeshauptstadt in der Pfarrei Dreifaltigkeit aufwuchs. 1975 kam Franz Rosenberg als Vikar nach Bümpliz in die Pfarrei St. Antonius, wurde 1978 deren Pfarrer und prägte in den letzten vier Jahrzehnten das Leben von Pfarrei und Quartier.
Unzähligen Menschen war er geschätzter Seelsorger, weiser Ratgeber und verlässlicher Freund. Den vielen Theolog*innen, Katechet*innen und anderen Mitarbeitenden war er ein guter Lehrmeister und verständnisvoller Chef, dem die Seelsorge stets wichtigste Richtschnur war. Sein theologisches Denken und Handeln waren geprägt von grosser Offenheit und Toleranz. Durch sein grosses Vertrauen in die Menschen wuchs die Pfarrei zu einer Familie zusammen.
Wir trauern um Franz Rosenberg, unseren geschätzten Pfarrer, Freund und Teamkollegen. Wir sind ihm sehr dankbar für all sein Wirken in Bümpliz und in der Stadt Bern. Er wird uns fehlen.
Patricia Walpen und Katrin Schulze für das Team Bern-West