Räderwerk: Beständige Durchdringung in der Kraft ... Foto: Ebi Fotofix ... des Heiligen Geistes. Fenster Heilig Geist, Kirche Ebersbach. Foto: zVg

Räderwerk und Geisteskraft

31.05.2012

«Carte blanche» für Antonie Aebersold

Wenn ich am Schreibtisch sitze und die Worte nicht fliessen wollen oder ich in einer komplexen Arbeit stecken bleibe, wenn also im Triebwerk meiner Gedanken eine Blockierung auftritt, dann wird’s höchste Zeit, aufzustehen und an der frischen Luft ein Stück Weg zu gehen. Wichtiges kann sich von weniger Wichtigem absetzen und oftmals wird schon nach einer kurzen Wegstrecke klarer, was vorher ineinander verkeilt erschien. Bewusst aus dem Mechanismus eigener Konstruktionen und Anstrengung herauszutreten auf einen Wald- oder Feldweg, ist für mich immer ein heilsamer Gang, auf dem die Relationen wieder in ein Gleichgewicht kommen.

 Die Gerüche und Farben der Natur bringen mich wieder ins rechte Mass – ich spüre die Erde unter meinen Füssen, die Wärme der Sonne oder frischen Regen und die Brise des Windes, die mich daran erinnern, dass Gottes Geist die Schöpfung durchflutet und auch mich belebt. Ich kann spüren wie bedürftig ich seiner bin und wie dürftig das Leben ist ohne ihn, den Lebendigmacher, den Heiligen Geist. So mahnt und lehrt er mich, aufmerksam zu sein für sein Wirken in Einfachheit, in schlichter Achtsamkeit, die jeder Mensch in jedem Augenblick üben kann: «Wahrnehmen was ist». Wie mich meine Schritte auf dem Waldboden mit der Natur verbinden, so verleiht dies Üben schlichter Achtsamkeit auch meinem Empfinden gegenüber dem Mitmenschen einen Boden, einen gemeinsamen Boden, auf dem es nicht um Rang und Namen geht, sondern um Heiligung des Lebens. Das macht mich glücklich und schmeckt wahrhaft nach Freiheit. Und ich denke an Jesu Wort: «Ich preise Dich Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil Du dies alles den Weisen und Klugen verborgen hast und den Unmündigen offenbart hast.» (Mt 11,25 par Lk 10,21) Sich der heiligenden Lebenskraft des Lebendigmachers bedürftig zu wissen schafft ein neues Verhältnis zum Räderwerk der Konventionen, Rangordnungen und des Leistungsapparats, ist Gewahrwerden der Radikalität, worin letztlich Leben ist, bewirkt die Praxis schlichter Achtsamkeit und birgt nicht zuletzt die Erfahrung, im Heiligen Geist Bruder, Schwester Jesu Christi zu sein, der uns Gott als unseren Vater und Herrn des Himmels und er Erde verkündet.

 Meine kleinen und die grossen Konstruktionen, mit denen die Menschheit die Welt und das Zusammenleben gestaltet, sind immer in Gefahr, starre, dem Leben feindliche Räderwerke zu werden. Sie bedürfen der beständigen Durchdringung und Reinigung in der Kraft des Heiligen Geist, des Lebendigmachers durch jeden erwachten Menschen an seinem Platz, durch unsere Kirche, die ihrer Sakramentalität neu bewusst werden und Erstarrtes abstreifen möge. 

Antonie Aebersold (1952) Theologin, Gemeindeleiterin in St. Mauritius Frutigen. Autorenportraits