Die erhobene Faust als Zeichen der «Black Lives Matter»-Bewegung. Foto: iStock/br-photo
Rassismus geht alle an
Wieso «Black Lives Matter» aus den USA auch ein aktuelles Thema in der Schweiz sein sollte.
Wieso «Black Lives Matter» aus den USA auch ein aktuelles Thema in der Schweiz sein sollte.
Nora Moraschinelli*
«Black Lives Matter» (Schwarze Leben zählen) ist nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd für viele zu einem wichtigen Begriff geworden. Entstanden ist er aber schon 2013, nachdem der Teenager Trayvon Martin von einem Mann einer Bürgerwehr getötet wurde und strafrechtlich nicht belangt wurde.
Viele Menschen beteiligten sich damals an den Protesten nach Trayvon Martins Tod, viele sprachen sich in den Sozialen Medien gegen das Geschehene aus. Sie fühlten sich hilflos über die Ungerechtigkeit, die in Amerika stattfand und darüber, dass das Leben afroamerikanischer Menschen nicht den gleichen Wert hatte, wie das Leben anderer Menschen. Das alles führte schliesslich zur Geburt des Online-Hashtags #BlackLivesMatter.
Seitdem hat sich «Black Lives Matter» nicht nur zu einem Hashtag der Unterstützung, sondern zu einer Kampagnenorganisation entwickelt.
Wiederholte Polizeibrutalität in den USA gab und gibt den Afroamerikaner*innen das Gefühl, dass ihr Leben kaum eine Rolle spielt. Seit 2013 haben sich in ganz Amerika, aber auch in anderen Teilen der Welt, viele Zwischenfälle zwischen Personen of color und der Polizei ereignet oder sie wurden erst bekannt. Forderungen nach dem Schutz des Lebens von «People of color» wurden lauter.
Die Hintergründe für Diskriminierung, mit der Afroamerikaner*innen konfrontiert sind, reichen bis in die Zeit der Sklaverei und des Kolonialismus zurück. Viele Wohltätigkeitsorganisationen und Kampagnengruppen kämpfen seit Jahren gegen diese Ungleichheiten. Dennoch sind auch heute noch viele Afroamerikaner*innen vom Rassismus betroffen.
Einige Leute haben als Antwort auf die «Black Lives Matter»-Bewegung den Ausdruck «All Lives Matter» verwendet. Oberflächlich betrachtet, scheint er darauf hinzudeuten, dass alle Menschenleben wichtig sind, doch wenn man die Verantwortlichen danach fragt, sind sie nicht mit den Leitgedanken von «Black Lives Matter» einverstanden. Der Ausdruck lenkt also bewusst davon ab, worum es «Black Lives Matter» geht. Niemand, der sich an der «Black Lives Matter»-Bewegung beteiligt, ist der Meinung, dass nur das Leben von Afroamerikaner*innen wichtig ist oder dass einige Leben unwichtig seien. Das Problem ist, dass in der Vergangenheit und eben auch noch in der Gegenwart, weisse Leben eine grössere Rolle zu spielen scheinen.
Die Schweiz und die versklavten Menschen
Wie fast jedes europäische Land spielte auch die Schweiz eine Rolle während der Zeit des Sklavenhandels in der Kolonialzeit vom 17. bis ins 19., teilweise sogar bis ins 20. Jahrhundert. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass insgesamt zwischen 11 und 25 Millionen Menschen durch europäische Händler versklavt und ausgebeutet wurden.
Dabei floss sehr viel Geld auch in die Schweiz. Von Grossgrundbesitzern beispielsweise, verdient durch nicht entlohnte Arbeit von versklavten Menschen.
Der Sklavenhandel selbst war ein brutales und risikoreiches Geschäft. Schätzungsweise 15 Prozent der versklavten Menschen starben auf der Reise.
Gefragt waren also Versicherungen und Finanziers. Der sogenannte Dreieckshandel versprach ungeahnte Gewinne: Stoffe aus Schweizer Produktion, Waffen und Alkohol wurden nach Westafrika verkauft. Dort nahmen die Schiffe «neue Ware» an Bord: Menschen, die versklavt und über den Atlantik verschachert wurden. Dann kehrten die Schiffe wieder nach Europa zurück, vollbeladen mit Baumwolle, Zuckerrohr, Kaffee oder anderen Kolonialwaren.
1856 gründete der St. Galler Jakob Laurenz Gsell die Deutsch-Schweizerische Kreditbank und Alfred Escher die SKA. Der Trogener Ulrich Zellweger gründete 1866 die Bank für Appenzell Ausserrhoden und Adolf Guyer-Zeller 1894 die Guyerzeller Bank. Ihnen allen wurde ein Bezug zur Sklavereigeschichte nachgewiesen.
Geldinstitute, beispielsweise die Zinskommission Leu (die spätere Bank Leu), hielten hohe Anteile an der französischen Compagnie des Indes, die in grossem Umfang Sklavenhandel betrieb. Zeitweise waren 30 Prozent ihrer Aktien in Schweizer Händen. Die Stadt und Republik Bern hielten während Jahen Anteile an der englischen South Sea Company, diese handelte in dieser Zeit mit zehntausenden versklavten Menschen.
Diese Liste liesse sich noch fortführen. Mit diesen «indirekten» – oder auch «passiven» – Beteiligungen kann die Schweiz mit 172'000 versklavten Menschen in Verbindung gebracht werden. Das sind in etwa soviel wie die Städte Bern und Thun heute gemeinsam Einwohner*innen haben.
Diskriminierung heute
Eine kürzlich durchgeführte Studie des Bundesamtes für Statistik zeigt, wie verbreitet Diskriminierung in der Schweiz ist. Darin geben 28% der Schweizer*innen an, schon Rassismus erlebt zu haben. Als häufigste Formen von rassistischer Diskriminierung werden verbaler Rassismus und die Diskriminierung auf dem Arbeits- oder Mietmarkt angegeben. Angriffe auf die körperliche Integrität kommen dagegen eher selten vor.
Rassistische und postkoloniale Stereotype sind tief in unserer Kultur verankert, wie man beispielsweise in der Kontroverse um das rassistische Wandbild im Schulhaus Wylergut sieht. Dieses Wandbild veranschaulicht das Alphabet mit einer Zeichnung zu jedem Buchstaben. Alle Buchstaben werden durch Tiere repräsentiert ausser die Buchstaben C, I und N. Bei C ist eine asiatische Person zu sehen, I hat eine indigene Person und N stellt einen schwarzen Mann dar.
Dieses Wandbild stammt von den beiden Künstlern Eugen Jordi und Emil Zbinden; sie schufen die Wandmalerei 1949! Während Jahrzehnten hing es also dort, vor kurzem erst übersprayte eine anonyme Gruppe die drei beschriebenen Bilder mit schwarzer Farbe. Wie man sieht, ist Rassismus in der Schweiz immer noch allgegenwärtig.
Quelle: Thomas David, Bouda Etemad, Janick Marina Schaufelbuehl: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Limmat-Verlag, Zürich 2005
Webseite der Bewegung «Black Lives Matter»: www.blacklivesmatter.com
* Nora Moraschinelli (17), schreibt immer wieder für das «pfarrblatt». Sie studiert an der Fachmittelschule Lerbermatt