Den eigenen Glauben entdecken, erfragen, erfahren. Foto: kallejipp/photocase.deKatechismus
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Wie werden Glaube und Bibel heute vermittelt?
Wie werden Glaube und Bibel heute vermittelt?
Von Judith Furrer, Fachstelle Religionspädagogik, Bern
«Himmel nochmal, sagt diesen Kindern doch einfach mal, was Sache ist! Wir müssen ihnen den Glauben einfach endlich mal so erklären, dass sie es verstehen!» Hans, ein älterer Herr aus einer Berner Pfarrei, wurde im Gespräch richtig ungehalten. Wieder einmal waren nach dem Gottesdienst Gespräche über die Zukunft der Kirche und über die Jungen entbrannt. Die Jungen, die im Gottesdienst fehlen und nichts mehr wissen. Hans ist der Meinung, dass es so schwierig doch einfach nicht sein kann. Und doch zeigt die Realität für Hans ein anderes Bild. Katechetische Tätige geben jahrein jahraus ihr Bestes, um Kinder und Jugendliche zum Glauben zu führen. Fragen wir mit Hans, was dabei hängen bleibt. Und stellen wir uns selbst die Frage, mit welcher Brille wir die Lernleistungen im religiösen Bereich bewerten.
Bis vor ein paar Jahrzehnten bedeuteten Religionsunterricht und Katechese in erster Linie deKatechismus lernen. Auf klare Fragen mussten ebenso klare Antworten auswendig gelernt werden. Damit wurde Faktenwissen und Dogmatik vermittelt. Die Lernleistung mass man an der Treffsicherheit der Antworten. Wer mehr Antworten auswendig konnte, war der/die bessere Schüler*in. Auch die Pädagogik in der Schule funktionierte lange Zeit nach diesem Input-Output-Schema. Je komplexer allerdings das Problem war, auf das eine Lösung angewendet werden sollte, desto weniger tragfähig waren diese klaren, vorgefertigten Antworten. Die Pädagogik war gezwungen zu lernen, dass Kinder «be-greifen», erleben und erfahren müssen, um zu verstehen und um das Gelernte in neuen Situationen anwenden zu können. So wird heute auch in Fächern, in denen die Antworten sehr wenig bis keinen Spielraum zulassen, entdeckend gelernt, gesucht, gefragt und an Problemlösungen getüftelt.
Parallel zu den Veränderungen in der Pädagogik hat sich in den letzten Jahrzehnten ein konstruktivistischer Umgang mit Informationen und Wissen etabliert. Menschen übernehmen nicht mehr einfach die Weltsicht der Generation ihrer Eltern. Ihre Erfahrungen unterscheiden sich beispielsweise im Bereich Technik viel zu sehr von den Erfahrungen der Generation davor. Menschen heute haben gelernt, Antworten auf alle möglichen Fragen oder die Richtigkeit von Informationen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen zu überprüfen und sich damit das eigene Weltbild laufend neu zu kreieren. Die gesellschaftliche Pluralität ist Ursache und auch Folge davon. Zurück zum Gespräch mit Hans. Der kurze Blick in die Geschichte und in die heutige gesellschaftliche Realität zeigt die Schwierigkeiten von Hans' Lösungsansatz. Gleichzeitig eröffnet gerade das Wissen um die konstruktivistische Denkweise heutiger Menschen neue Möglichkeiten für Hans' Anliegen.
Lerntheoretisch werden neue Informationen dann für relevant gehalten, wenn sie bei der Überprüfung vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und Wertvorstellungen bestehen und anschliessend in das eigene Weltbild integriert werden können. Machen wir uns doch diesen Mechanismus für unsere katechetische Arbeit zu eigen. Methodisch gelingt dies, wenn wir es schaffen, Glaubensinhalte wie Bibelgeschichten mit den Erfahrungen, die Menschen kennen, zu verknüpfen. Biografische Katechese nennt sich das.
Zum Glück erzählen Bibelgeschichten immer von ganz menschlichen Erfahrungen: Von der Suche nach dem eigenen Platz in dieser Welt, von Macht und Ohnmacht, von Gefangenschaft und Freiheit, vom Scheitern und vom nochmal Anfangen dürfen, von der Angst, von der Bedrohung und vom geschützten Raum, vom Tod und vom Leben trotz allem, von Krankheit und vom Heil werden, vom Hunger und dem, was uns nährt … Hat Sie diese Aufzählung an eigene Erfahrungen erinnert, liebe Leser*innen?
Katechetisch Tätige sagen heute den Kindern nicht mehr, «was Sache ist». Sie haben auch nicht auf jede Frage eine Antwort parat. Katechet*innen kennen Methoden und Wege, Kinder, Jugendliche, Menschen jeden Alters ins Nachdenken über das eigene Leben zu führen. Sie öffnen Räume der Nachdenklichkeit. Und sie haben Bilder, Geschichten, Deutungen, Hoffnung – die sie ins Spiel bringen und anbieten können.
Wie das geht, zeigen vier Porträts:
Bibliodrama: Mitten drin im Geschehen
Bibliolog: Kein Buch mit sieben Siegeln
Godly Play: Bibel und Glauben spielerisch entdecken
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