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Raum zum Sein
Kolumne aus der Inselspitalseelsorge
Die Pflege hat mich gebeten, bei Frau M. vorbeizuschauen. Es sei eine junge Frau, informiert sie mich, die am nächsten Tag nach Hause könne zu ihrem Mann und ihren kleinen Kindern, und doch würden sie sie oft weinend in ihrem Zimmer antreffen.
Frau M. sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett und erwartet mich schon, als ich ins Zimmer komme. In gebrochenem Französisch beginnt sie mir von sich und ihrem Leben zu erzählen. Ihre Aussprache ist für mich ungewohnt und auch die Grammatik tritt während des Erzählens immer wieder in den Hintergrund. Für sie hat korrektes Französisch in diesem Moment keine Bedeutung.
Ich konzentriere mich auf ihre Worte und versuche sie in dem, was sie bewegt, wahrzunehmen. Nicht immer verstehe ich alles, manches muss ich erraten. Zwischendurch wirkt sie gelöster, doch immer wieder überkommen sie die Tränen. Ich bin einfach nur da und selten sage ich etwas.
Immer wieder frage ich mich, ob ich ihr genug Gegenüber sein kann, wenn die Verständigung sprachlich so schwierig ist. Gerne würde ich ihr da mehr entgegenkommen. Ob ihre Muttersprache uns im Gespräch vielleicht eine neue Tür öffnen könnte, frage ich mich und sie. Aber zu Tamilisch habe ich keinen Zugang und auf die Schnelle weiss ich auch nicht, wer uns da unterstützen könnte. So bleib ich einfach da und versuche so gut wie möglich zuzuhören und für sie da zu sein. Es wird ein ausgedehnter Besuch.
Am Schluss bedankt sie sich bei mir mit den Worten: «Es hat mir so gut getan, mal mit jemandem sprechen zu können.» Sie fühlt sich verstanden, ohne dass ich sie immer verstanden habe.
Meine Sorge um die Verständigung war also ganz umsonst…
In einem verstehe ich sie jedoch gut, wie befreiend es ist, wenn einem einfach jemand wertfrei und wertschätzend zuhört. Das habe ich selbst schon erfahren. In solchen Momenten schafft Zuhören Raum, Raum zum einfach Sein, mit allem, was mich bewegt und ausmacht.
Martina Wiederkehr-Steffen, Seelsorgerin am Inselspital