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«Religionsunterricht ist kein Museum»
Ökumene im Unterricht: In Bern Nord wird der Religionsunterricht mehrheitlich ökumenisch durchgeführt. Im Zentrum steht das Leben der Kinder, nicht die Bewahrung der Tradition.
Sylvia Stam
«Kinder wissen oft nicht, ob sie katholisch oder reformiert sind», sagt Fabienne Bachofer, «sie sind in ihrer Konfession noch nicht so stark beheimatet.» Die Religionspädagogin ist in der Berner Pfarrei St. Marien tätig. Diese organisiert den Religionsunterricht gemeinsam mit den reformierten Kirchgemeinden Johannes und Markus im Quartier Bern Nord.
Während auf der Oberstufe schon seit Jahren ökumenische Module angeboten werden, ist dies neu auch in den unteren Klassen der Fall. Gestartet sind Bachofer und ihr reformierter Kollege Herbert Knecht, Pfarrer der Kirchgemeinde Markus, im letzten Schuljahr mit den fünften Klassen.
Auf dieser Stufe ist die Bibel Schwerpunkt, entsprechend gebe es «wenig Reibung», sagt Fabienne Bachofer – gemeint sind theologisch strittige Punkte zwischen den beiden Konfessionen. Bachofer und Knecht behandeln auf dieser Stufe beispielsweise die Figur des Paulus und damit verbunden die Frage, wie das Christentum nach Europa kam.
Was interessiert die Kinder?
Bachofer nennt als Beispiel das sogenannte Damaskus-Erlebnis aus der Apostelgeschichte. «Was ist mit Paulus passiert, dass man sagte, er sei blind?», könnte eine Frage sein, die sie den Kindern stellt. «Ich möchte, dass sie Paulus spüren», sagt Bachofer, für die ihr Beruf eine Leidenschaft ist. Sie sprudelt, wenn sie davon erzählt. «Mit Paulus passiert hier etwas, das er offensichtlich nicht einordnen kann. Bei der Paulusgeschichte geht es darum, dass jemand eine Überzeugung hat. Gleichzeitig braucht es aber auch eine Offenheit für Andersdenkende.»
Die Themen, die im ökumenischen Religionsunterricht der 5. Klasse behandelt werden, haben Bachofer und Knecht gemeinsam festgelegt. Während die Reformierten laut Knecht «sehr frei» sind in der konkreten Umsetzung der «offen formulierten Themen», gilt es auf katholischer Seite den Lehrplan für die katholische Kirche der Deutschschweiz zu beachten.
Ein «Katholisch first» weist Knecht jedoch klar von sich. «Wir gehen von den Kindern aus: Was interessiert sie? Was begeistert uns selber?» Der Lehrplan stehe dabei an letzter Stelle.
Konfessionelle Fenster
Natürlich gebe es auch konfessionelle Fenster, erzählt Bachofer. «Reformierte Kinder verstehen nicht, warum Maria so verehrt wird. Katholische Kinder kennen oft das Ritual, dass man in die Kirche geht und bei Maria ein Kerzli anzündet.» Sie gehe beispielsweise mit den Kindern in die Marienkirche und erkläre, wer die Gottesmutter war und welche Bedeutung sie bei den Katholik:innen hat. «Die reformierten Kinder wollen dann oft auch ein Kerzli anzünden.» Herbert Knecht hat damit kein Problem, solange die vermittelnde Person authentisch sei.
Negative Reaktionen seitens der Eltern kennen weder Knecht noch Bachofer. Das hängt aus ihrer Sicht damit zusammen, dass in Bern Nord eher Familien wohnen, die offen sind für Neuerungen und weniger an Altem festhalten, die den Unterricht zu wenig katholisch fänden, weil zum Beispiel der Rosenkranz nicht vorkomme.
«Ich frage dann zurück, ob die Eltern dies selber praktizieren.» In diesem Fall könnten die Eltern das ihren Kindern weitergeben. Wenn es den Eltern jedoch nur um die Bewahrung der Tradition geht, hat Bachofer eine klare Linie: «Religionsunterricht ist kein Museum, er hat mit dem Leben zu tun.»
Konfessionelle Hinführung zu Sakramenten
Aufgrund der positiven Erfahrungen wurde der ökumenische Religionsunterricht, der ausserhalb der Schule stattfindet, für das laufende Schuljahr auf die 1. und 2. Klasse sowie auf die 6. Klasse ausgedehnt. Auch in den 3. und 4. Klassen gibt es ökumenische Anlässe. Katholischerseits stehen hier allerdings die Erstkommunion und der Versöhnungsweg im Vordergrund. Die Hinführung zu diesen Sakramenten geschieht konfessionell getrennt.
Hier bestünden zwischen den Konfessionen Unterschiede im Verständnis, sagt André Flury, Gemeindeleiter in St. Marien: «Kinder in der katholischen Kirche bereiten sich in der 3. Klasse intensiv auf die Erstkommunion vor.»
Kinder in der reformierten Tradition würden ohne diese Vorbereitungen zum Abendmahl eingeladen, ausserdem sei für sie die Taufe keine Voraussetzung für das Abendmahl. Daher hält er den mehrheitlich konfessionellen Unterricht auf diesen Stufen für sinnvoll, ebenso wie die Vorbereitung der reformierten Jugendlichen auf die Konfirmation in der 9. Klasse.
Aus dem Gespräch wird deutlich, dass es innerhalb des Teams verschiedene Sichtweisen auf dieses Thema gibt und sie hier noch auf dem Weg sind. Dieser Grenzen zum Trotz zeigen die Kirchen in Bern Nord mit ihrem innovativen Projekt, dass ökumenisch vieles möglich ist.
«Reformierte Kinder müssen dabei nicht katholisch werden und katholische nicht reformiert», sagt André Flury. Es gehe vielmehr darum, das Gemeinsame zu betonen, die Unterschiede wertzuschätzen und voneinander zu lernen.