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Respekt vor dem Alter

03.10.2018

Generationenvertrag. Der 25jährige Historiker Jonas Hirschi reflektiert

Wenn eine ältere Person in den Bus steigt, geben wir unseren Platz natürlich frei. Wird bei einer Preisverleihung eine Person für ihr Lebenswerk geehrt, nicken wir anerkennend. Und die jüdisch-christliche Tradition lehrt uns Respekt vor dem Alter. Doch ist dieser Respekt gerechtfertigt? Und wieso gibt es nicht einen entsprechenden Respekt vor der Jugend?

Es gibt einen Generationenvertrag. Die ältere Generation hat ein Leben lang hart gearbeitet und wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute ein so gutes Leben führen können. Im Gegenzug behandeln wir die älteren Mitmenschen respektvoll und kümmern uns um sie im Wissen, dass dies die nachkommende Generation genauso mit uns handhaben wird. Unsere Gesellschaft beruht auf diesem Generationenvertrag – politisch und ideell. So ist die AHV genau nach diesem Prinzip aufgebaut und Kinder werden zur Höflichkeit gegenüber den Erwachsenen erzogen, unabhängig davon, wie höflich die Erwachsenen zu den Kindern sind.

Respekt verdienen. Ein entscheidender Tatbestand des Generationenvertrages ist es, dass wir in unserem Leben so handeln, dass es künftige Generationen mindestens so gut haben werden wie wir, dass wir uns also enkelgerecht verhalten. Sonst ist der ganze Vertrag eine Farce. Aus diesem Grund bezweifle ich, dass meine Generation einmal denselben Respekt im Alter verdient haben wird. Denn momentan verstossen wir in grossem Ausmass gegen den Generationenvertrag. Wir behandeln unsere Umwelt so, als gäbe es keine kommenden Generationen. Für uns werden die Folgen vielleicht noch annehmbar sein: gegebenenfalls müssen wir etwas höher in die Berge, um Ski zu fahren, und die Sommer werden noch etwas heisser. Aber insgesamt ist ein leichter Klimaanstieg für uns wunderbar verkraftbar. Doch wenn wir an die kommenden Generationen denken, sieht die Situation anders aus. Wasserknappheit, Klimaflüchtlinge, das Verschwinden der Gletscher sind nur drei von unzähligen neuen Problemen, die wir der kommenden Generationen aufbürden. Auch gesellschaftlich findet die künftige Generation womöglich eine Stimmung vor, die nicht mehr einen grundsätzlichen Konsens gefunden hat, sondern die vielmehr auf Trennendes ausgelegt ist und wo Hass und Angst zum Dauerzustand werden. Was wird uns also das Recht geben, einmal einen Respekt vor dem Alter einzufordern? Unser Beitrag zum technologischen Fortschritt vielleicht oder der Aufbau einer grenzenlosen Mobilität. Aber wird das ausreichen?

Respekt vor der Jugend. Vielleicht sollte sich meine Generation also darauf vorbereiten, dass wir im Alter nicht unweigerlich den Respekt von der kommenden Generation erwarten dürfen. Respekt bedingt sich gegenseitig und unser Verhalten zeugt von einer RespektGenerationenvertrag delosigkeit gegenüber den künftigen Generationen. Wieso kehren wir den Spiess also nicht mal um, wenn wir alt sind? Wieso behandeln wir die künftige Jugend nicht einfach mal mit dem nötigen Respekt? Denn die Zukunft liegt in ihren Händen, sie haben die Chance, es besser zu machen als wir. Bei politischen Entscheiden könnten wir die Stimme der Jugend stärker gewichten. Wir könnten Preise verleihen für kommende Lebenswerke. Und wir könnten im Alltag mehr Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse der Jugendlichen und diese nicht automatisch tiefer bewerten als jene der älteren Generationen.

Gegenseitiger Respekt. Der Respekt darf aber natürlich keine Einbahnstrasse bilden. So wie der Respekt vor dem Alter alleine nicht funktioniert, funktioniert auch der einseitige Respekt vor der Jugend nicht. Wir brauchen viel mehr einen generationenübergreifenden Respekt. Wir müssen mehr Verständnis aufbringen für die Bedürfnisse aller Generationen. Dazu gehört natürlich, dass wir den Sitz freigeben im Bus, an der Kasse Verständnis aufbringen, wenn eine Person vor uns etwas länger braucht, die Geldmünzen abzuzählen, und dass wir uns um unsere Eltern kümmern, wenn sie älter werden. Gleichzeitig bedingt es aber auch, dass die ältere Generation respektiert, dass Jugendliche einen gewissen Freiraum brauchen, dass sie vielleicht lauter sind und andere Kommunikationswege benützen. Und es verlangt auch eine Achtung aller künftigen Generationen, damit diese eine Erde und eine Gesellschaft antreffen, die ihnen mindestens die gleichen Chancen bieten, wie sie uns geboten wurden.

Jonas Hirschi

Der 25jährige Historiker arbeitet beim Dachverband «Schweizer Jugendparlamente» sowie als persönlicher Mitarbeiter einer Nationalrätin. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Theaters «Projekt 210», das 2014 den Jugendpreis der Burgergemeinde Bern erhielt.