Jeder Tag kann gut sein. Foto: unsplash.com

Ruf ins neue Jahr

Ein Ethiker über Weltschmerz, Unterwäsche und K-Pop


Rouven Porz*

Die Weltlage ist aktuell schwierig. Es ist einfach nicht mehr klar, was gut und was schlecht ist. Es ist zu komplex geworden. Man kann nicht mehr alles glauben, was man sieht. Und man sieht generell nur wenig, woran man noch glauben will.

Für dieses Unbehagen muss man nicht Ethik studiert haben, es reicht schon, die Nachrichten zu verfolgen: Krieg im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Rechtsrutsch in Europa, ein Wunsch nach altmodischer politischer Ordnung in den USA – es wird nicht besser. In meinem Weltschmerz gehe ich manchmal durch die Wohnung und räume auf. Es hilft, mich einfach mal aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren und Unterwäsche im Schrank zu versorgen.

Im Kinderzimmer stosse ich aufs Handy meiner vorpubertären Tochter. Im Whatsapp-Status steht unter ihrem Profilbild: Jeder Tag ist gut. Ich bin plötzlich über die Naivität dieses Kindes empfindlich gekränkt. Was denkt die sich denn? Nicht jeder Tag ist gut, schon gar nicht im Gaza-Streifen oder an anderen rauen Orten dieser Erde. Habe ich ihr nicht erklärt, dass die Welt schwierig ist? Dann taucht in mir ein schreckliches Schuldgefühl auf. Wie kann ich mir anmassen, einen Teenager schon zu einer schlechten Weltsicht erziehen zu wollen? Sie hat doch recht: Jeder Tag ist schön, wenn sie das so sieht. 

«Papa, was machst Du mit meinem Handy?» Sie steht in der Tür. «Ich bin ziemlich begeistert von deinem Whatsapp-Status. Ist wirklich jeder Tag gut für Dich?» «Ich versuche aus jedem Tag das Beste zu machen.» Ich muss mir kurz die Tränen verkneifen, vor Scham über meine Gedanken von soeben. «Man schaut nicht ins Handy von anderen Leuten!» «Ja, stimmt, entschuldige», sage ich zerknirscht.

«Komm, wir machen Musik an», ruft sie, schnappt sich das Handy und drückt kurz darauf herum. Es folgt ein überlauter aktueller Song aus Südkorea. «Die Sängerin heisst Rosé und singt K-Pop», erklärt sie mir. Ich bin überrascht, wie sehr das auch meine Lebensgeister weckt und wir schliesslich beide gemeinsam ungestüm durch den Wohnungsflur tanzen. 

«Was ist denn hier los?» fragt meine Frau, als sie die Wohnung betritt. «Heute ist ein guter Tag!» rufen wir ihr entgegen und lachen alle drei. Ich wünsche mir für 2025, dass wir alle viel öfter mal durchs Haus tanzen und unsere Tage gut machen, indem wir ihr Gelingen in unsere Hände nehmen. Und sei es, indem wir mal neue Musik hören und unseren Kindern glauben, dass ihre Weltsicht für uns lehrreich sein kann.


*Prof. Dr. Rouven Porz ist Leiter der Medizinethik und ärztlichen Weiterbildung bei der Inselgruppe Bern