Schnitzen mit Blick auf den Brienzersee. Foto: Pia Neuenschwander
Schnitt für Schnitt zum Hirtenmädchen
Zu Besuch bei der Bildhauerei Huggler in Brienz
Drei Stunden Handarbeit und zwanzig verschiedene Meissel. Das braucht es, um aus einem grob gefrästen Rohling ein Hirtenmädchen zu schnitzen. Zu Besuch bei der Bildhauerei Huggler in Brienz.
Von Sylvia Stam | Fotos: Pia Neuenschwander
«Die männlichen Figuren kriege ich nicht so gut hin», sagt Sylvia Hilpertshauser, «Frauen und Kinder liegen mir eher». Die 35-jährige Holzbildhauerin schnitzt an einem Mädchen mit Querflöte. Das Atelier liegt direkt hinter dem Verkaufsladen der Firma Huggler in Brienz, mit Blick auf den Brienzersee. Vor ihr steht ein fertiges Modell des Hirtenmädchens.
Ein Fenster weiter schnitzt Luca Michel an einem Schaf. Fünf davon stehen in Reih und Glied vor ihm auf dem Tisch, für jedes braucht er bis zu anderthalb Stunden. «Für einen Samichlaus brauche ich dreimal länger», sagt er lachend. «Ich bleibe zu lange bei den Kleidern und bei den Gesichtern.» Tiere lägen ihm daher besser. Vorsichtig müsse man bei den Beinen sein: «Sonst läuft man Gefahr, eins abzuknicken.»
«Zuerst schnitzen wir grossflächig, dann geht’s mit feineren Meisseln mehr und mehr ins Detail.» Der leicht abstrahierende, flächige Schnitt wurde von Firmengründer Hans Huggler-Wyss 1915 erfunden. Für die einzelnen Körperteile gebe es je eigene Meissel. Etwa 20 Meissel und bis zu drei Stunden braucht Sylvia Hilpertshauser für das Flötenmädchen. Die fertige Figur wird im Laden 265 Franken kosten.
Der Rohling in ihrer Hand wurde maschinell grob vorgeformt. «Wir verkaufen Szenenfiguren, welche seriell hergestellt und vorgefräst werden.» Dazu werden bis zu acht Rohlinge in eine Maschine gespannt, zusammen mit einem Modell. «Ohne das Vorfräsen bräuchten wir dreimal länger», erklärt die Ostschweizerin.
Mit einem Taststift fährt an diesem Tag Hanspeter Schild dem Modell entlang. Seine Bewegungen werden auf die acht Rohlinge – alle aus Lindenholz – übertragen. «Die Esel, die hier entstehen, waren schon mehrfach in dieser Maschine, jeweils mit einem gröberen Bohrer», sagt Sylvia Hilpertshauser.
Etwas ausserhalb des Ladens befindet sich das Malatelier. An diesem Mittwoch malt Franziska Venrath hier Samichläuse an. Vor ihr auf dem Tisch «knien» ein Dutzend roter Kapuzenmänner, jeder mit einem Sack neben sich. Venrath ist dabei, die Säcke braun zu färben. «Die Arbeit ist sehr meditativ», sagt Venrath. Die Farbe ist lasierend, also nicht deckend. Bis die zwölf Chläuse mit Sack, Mantel und Orange fertig bemalt sind, braucht sie etwa einen halben Tag. «Ich muss zügig vorwärtsschaffen. Die Farbe zieht rasch ein und würde sonst fleckig.»
Im Ausstellungsraum schliesslich können alle Figuren bestaunt und ausgewählt werden. Hier laufen ganze Schafherden der Krippe entgegen, Elefanten und Kamele begleiten Könige, Hirtinnen mit Kindern oder Instrumenten sitzen und stehen in Krippennähe. Die meisten Kund:innen kämen aus der Schweiz, exportiert wird auch nach Deutschland und in die USA. «Viele kaufen unsere Krippenfiguren aus Tradition, Enkelinnen wollen zum Beispiel dieselbe Krippe, die das Grosi hatte.» Oft wird jedes Jahr eine Figur dazu gekauft. «Für manche Familien gehört ein Besuch in unserem Laden daher zum Weihnachtsritual.»
Seit 1915 entstehen bei Hugglers in Brienz Holzfiguren. Ein Krippenmodell wird bis heute nach den Modellen des Firmengründers Hans Huggler-Wyss geschnitzt. Darüber hinaus gibt es Trachtenfiguren, Tiere, Madonnen u. a. In der Firma sind elf Bildhauer:innen tätig.