Ivo Knill stellt sich schreibend seinem Leben. Foto: Luca Bricciotti
Schreiben als Beichte
Im Beichtstuhl: Ivo Knill
Für Ivo Knill, Literat, Germanist und Berufsschullehrer, bedeutet autobiografisches Schreiben auch Selbstbefragung und Beichte. Sein Buch «Der Himmel meines Bruders» erscheint im November in der edition ERNST.
Interview: Katharina Kilchenmann
Sünde, was bedeutet das Wort für Sie?
Ivo Knill: Ich bin katholisch aufgewachsen und habe meinen Bruder durch Suizid verloren. Neben meiner Trauer empfand ich auch Gefühle von Schuld und Scham. Nicht zuletzt, weil im offiziellen Katholizismus die Selbsttötung als Sünde gilt. Verurteilen statt trösten – mit diesem Begriff der Sünde kann ich nichts anfangen.
Dennoch stehen Sie Ihrer Konfession nicht nur kritisch gegenüber.
Knill: Ja, als Jugendlicher bin ich Pastoralassistenten begegnet, die eine menschliche, aufgeschlossene Kirche verkörperten. Aber die Vorstellung eines richtenden und verurteilenden Gottes stimmt für mich nicht. Ich sehe in Gott vielmehr dieses unbegreifliche Grössere, vor dem ich mein Leben betrachten kann und sehe, dass es mit seinen Brüchen und Schönheiten durchaus aufgeht.
Für Sie ist Schreiben auch eine Art Beichte.
Knill: Die literarische Beichte hat eine lange Tradition: Sie reicht von den autobiografischen «Bekenntnissen» des Augustinus aus dem vierten Jahrhundert bis zu Max Frischs fiktivem Rechenschaftsbericht «Homo Faber». Schreiben ist für mich immer auch eine Selbstbefragung. Beim Schreiben finde ich Einsicht, Trost, Erlösung und Befreiung.