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Seelsorge
Kolumne aus der Inselspitalseelsorge
Was nützt es Menschen, wenn sie die ganze Welt gewinnen, ihre Seele aber Schaden erleidet
(Mt 16,26)
Der Satz hat mich geweckt, nochmals der Verwurzelung nachzuspüren, was es mit der Seele auf sich habe, und mit der Seelsorge.
In der jüdisch-christlichen Tradition ist davon erzählt, dass uns das Leben / die Seele in der Schöpfung gegeben wird. Kostbar ist mir die Entdeckung, dass jüdische Menschen am Morgen danken, dass ihre Neschama-Seele wieder bei ihnen ist. Was die jüdisch-christliche Tradition Seele nennt, hat mit Empfänglichkeit zu tun. Sie kommt vor wie ein Organ der Empfänglichkeit, der Pflege, des Seins in Verbundenheit. Und die Leitlinie zum Handeln ist in dieser Tradition die Orientierung am Nutzen des Nächsten. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist der Bezugspunkt. Diejenigen, die erfahren, dass ihnen in einem «Geist der Liebe, der Geduld und Freundlichkeit und Güte» begegnet wird, können aufatmen und sein. Es sind dies einige der Qualitäten, die Paulus unter den «Früchten des Geistes» (Gal 5,22) nennt.
(Spital)Seelsorge, wie sie die jüdisch-christliche Tradition hervorgebracht hat, ist wesentlich ein geistlicher Beruf. Spitalseelsorge ist von ihrem Selbstverständnis her nicht ein Beruf des Gesundheitswesens, sie hat ihr Wirkungsfeld im Gesundheitswesen und bietet ihm einen Mehrwert.
Begonnen hat eine spannende und herausfordernde Zeit, in der sich die Spitalseelsorge weiterentwickelt. Seelsorge brauchen alle Menschen, sagen Angehörige anderer religiösen Traditionen. Ebenso Menschen, die sich nicht auf jüdisch-christlich Gewachsenes beziehen wollen. Die aktuelle Spitalseelsorge orientiert sich allerdings bereits am «Nächsten». Und der klassische Nächste (in der Geschichte vom Samariter Lukas 10) war ja ein Fremder. Längst ist die Spitalseelsorge keineswegs nur auf die «Eigenen» oder die «Gleichen» ausgerichtet, sondern, auf die, die da sind. Und diese Vielfalt ist gross.
Gewiss, es braucht auch vielfältigere Zugänglichkeit zu diesem Beruf. Guter Geist ist auch in anderen Traditionen, und der Heiligen Geist weht bekanntlich, wo er will. Was ich hoffe ist, dass nicht einfach vorangegangen wird, ohne zu merken, welchen impliziten Menschenbildern oder Paradigmen wir dabei in die Fänge laufen. Scharfes Denken, Unterscheidungskraft ist gefragt wie die Liebe zu Gott und den Nächsten.
Möge die Seele / das Leben nicht Schaden erleiden.
Ingrid Zürcher, Seelsorgerin Inselspital