Viele kirchliche Mitarbeiter*innen nutzten im Lockdown digitale Kanäle, um Menschen zu erreichen. Bild: Ri_Ya/pixabay.com
Seelsorge digital - geht das?
Von der Krücke zum nützlichen Tool
Inwieweit haben die Kirchen beim ersten Shutdown auf digitale Kanäle gesetzt? Dies interessiert eine ökumenische Studie, bei der in der Schweiz etwa 800 Seelsorger*innen befragt wurden. Arnd Bünker, Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI), wertete die Bereiche «Diakonie» und «Seelsorge» aus. Er ist überzeugt, dass digitale Formate Chancen für die Seelsorge bieten.
Von Detlef Kissner, «forumKirche» Thurgau
Als sich im Frühjahr 2020 Covid-19 ausbreitete, wurden in der Schweiz und anderen Ländern Kontakte und Versammlungen stark eingeschränkt. Schon bald fand sich eine Gruppe von Wissenschaftler*innen zusammen, die in einer Umfrage herausfinden wollten, wie man im kirchlichen Alltag auf diese Krise reagierte und dabei digitale Möglichkeiten nutzte.
«Wir haben die Fragen sehr schnell zusammengestellt und gingen damals davon aus, dass die Einschränkungen bis Mai/Juni 2020 wieder aufgehoben werden», erzählt Arnd Bünker. Die langfristigen Wirkungen auf die Kirchen hätten die Beteiligten dabei weniger im Blick gehabt. Dadurch ergab sich eine detaillierte Momentaufnahme, die allerdings die Entwicklungen während der zweiten und dritten Welle nicht widerspiegelt.
Diakonie eher im Verborgenen
Während der ersten Welle war im privaten Umfeld und in der Öffentlichkeit eine grosse Hilfsbereitschaft festzustellen. Diese ging vielfach von informellen Netzwerken (Familie, Nachbarschaft usw.) aus. Auch in den Kirchen wurden Bedürftigen vielerorts Hilfen angeboten. Laut der Umfrage gaben etwa zwei Drittel der Seelsorger*innen an, dass auch im digitalen Bereich diakonische Angebote ausgebaut wurden oder neu entstanden sind.
Dies war allerdings im Unterschied zu den vielen Gottesdienstübertragungen öffentlich wenig greifbar. «Im Online-Bereich haben die Kirchgemeinden meist nur auf professionelle Akteure verwiesen», sagt Arnd Bünker. Da die Inanspruchnahme von Hilfe einer gewissen Vertraulichkeit bedarf, geht er davon aus, dass es viele digital, vor allem aber im direkten Kontakt vermittelte Unterstützungen gab, die sich jedoch öffentlich nicht zeigten. Diese Einschätzung bestätigten auch Rückmeldungen bei einer CONTOC-Tagung Anfang April, die darauf hinwiesen, dass in dieser Zeit ein grosses diakonisches Engagement von Jugend- und Sozialarbeiter*innen ausging.
Seelsorge gesteigert
Mit den Kontaktbeschränkungen fielen auch Möglichkeiten weg, im Einzelgespräch oder in Gruppen seelsorgerisch tätig zu sein. Viele kirchliche Mitarbeiter*innen realisierten schnell, dass sie nun digitale Kanäle nutzen müssen, um Menschen erreichen zu können.
42 Prozent der Befragten gab an, im Shutdown häufiger seelsorgerlich tätig gewesen zu sein als zuvor. Dabei standen vor allem ältere Menschen im Fokus, weil diese stärker isoliert waren. Bevorzugtes Medium war das Telefon. «Es gab Pfarreien, die systematisch Menschen ab einem gewissen Alter angerufen haben», so Arnd Bünker.
Auffällig ist in diesem Kontext, dass mehr Frauen (54%) als Männer (34 %) von einer Zunahme seelsorgerlicher Tätigkeit berichten. «Seelsorge ist strukturell ‹gegendert›», erläutert Arnd Bünker. Schon vor der Krise seien seelsorgliche Bereiche mehr von Frauen getragen gewesen als von Männern. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass im Shutdown eher Frauen (63 %) ihre Rolle als Seelsorgerin unverändert erlebten als Männer (48 %).
Vorteile des Internets
Bemerkenswert ist auch, dass in der Westschweiz mehr auf digitale Formen der Seelsorge gesetzt wurde als in der Deutschschweiz, wobei die Westschweizer Verantwortlichen die Möglichkeiten digitaler Seelsorge gleichzeitig kritischer einschätzten als ihre Deutschschweizer Kolleg*innen.
Arnd Bünker relativiert diese Momentaufnahme: «Wenn wir alle drei Monate nachgefragt hätten, hätten wir unter Umständen gesehen, dass die digitale Krücke in der Seelsorge inzwischen zu einem nützlichen Tool geworden ist.»
Der Theologe ist überzeugt, dass Begegnungen im digitalen Raum die Seelsorge durchaus bereichern können. Die Kirchgemeinden könnten ein breites, ausdifferenziertes Seelsorgeangebot bereitstellen. Schnittstellen zwischen territorialer und kategorialer Seelsorge würden durchlässiger. «Per Zoom kann ein Spitalseelsorger einen Patienten auch nach seinem Aufenthalt begleiten», sagt Bünker. Schliesslich hätten Erfahrungen aus der Psychotherapie gezeigt, dass man digital «schneller auf den Punkt kommt» als im direkten Gespräch.
Zur CONTOC-Studie
Wissenschaftler*innen aus 22 Ländern untersuchten in der Studie Churches Online in Times of Corona (CONTOC), inwieweit man sich in der Pastoral während des ersten Shutdowns digitaler Kanäle bediente. Dafür wurden ca. 6'500 evangelische und katholische Seelsorger*innen vor allem aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt.