Simone Di Gallo, Christina Herzog und Carole Imboden (v.l.n.r.) wollen nahe bei den Menschen sein. Foto: Roberto Conciatori

«Seelsorge wird bleiben, wie immer sich die Kirche entwickelt»

Einstieg in die Seelsorge: Was motiviert Carole Imboden, Christina Herzog und Simone Di Gallo?

Was motiviert Frauen heute, katholische Seelsorgerin zu werden? Die Theologinnen Carole Imboden (40), Christina Herzog (49) und Simone Di Gallo (30) haben ihre Berufsausbildung soeben beendet. Die letzten zwei Praxisjahre absolvierten sie in Pfarreien des Kantons Bern.

Interview: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Sie haben Coiffeuse gelernt, jetzt sind Sie Seelsorgerin. Was verbindet die beiden Berufe?

Carole Imboden: Ich bin sehr gern mit Menschen zusammen. Die beiden Berufe sind sich durchaus ähnlich. Ich habe als Coiffeuse vielleicht öfters Seelsorgegespräche geführt denn als Seelsorgerin.

Sie waren vorher Fachfrau Gesundheit. Wie kamen Sie zur Theologie?

Simone Di Gallo: Im Kontakt mit kranken Menschen habe ich gemerkt, dass mich das Medizinische nicht so interessiert. Wenn ich Zeit hatte, habe ich mit den Menschen Gespräche geführt. Die Begegnung mit einer Spitalseelsorgerin brachte mich auf die Idee, dass das auch etwas für mich sein könnte.

Die katholische Kirche gilt als rückständig, ist von Skandalen gebeutelt. Was motiviert Sie, für diese Kirche zu arbeiten?

Christina Herzog: Man ist in der Kirche unwahrscheinlich nahe bei den Menschen und bei den Fragen, die sie mitbringen: Woher komme ich, wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein Leben? Welchen Unterschied macht der Glaube an Gott?

Wir begleiten sie an ganz entscheidenden Punkten des Lebens: bei der Taufe oder einer frischen Elternschaft, einer Hochzeit oder einem Verlust. Natürlich setzen wir uns mit dieser Kirche und ihren Hindernissen auseinander, aber das, was Kirche für mich ausmacht, ist das Miteinander von Gott und den Menschen.

Simone Di Gallo: Im Bistum Basel darf ich als Frau sehr vieles. Heutige Kinder sehen Frauen am Altar stehen. Auf diese Weise kann sich etwas verändern, auch wenn ich nicht dasselbe tun darf wie ein Priester.

Bedauern Sie das?

Simone Di Gallo: Ich finde es ungerecht, weil wir die gleiche Ausbildung haben. Ich merke, dass es für die Menschen, die ich begleite, schwierig ist zu verstehen, warum ich zum Beispiel keine Krankensalbung spenden darf, obschon ich die Person immer besucht habe und sie gut kenne. Ich erkläre dann, dass ich einen Priester organisieren kann, wenn sie das Sakrament wünschen. Meistens wird dann aber eine Begleitung durch mich gewünscht.

Carole Imboden: Ich selbst verspüre keinen Priesterwunsch. Ich finde es aber eine Katastrophe für all die Frauen, die das möchten und nicht leben können. Es bietet aber auch Chancen: Als Frau muss ich mich zum Beispiel nicht an das Messbuch halten. Ich feiere Wortgottesdienste und darf diese mit meiner Kreativität füllen.

Ich schätze es auch, dass ich mit einem Priester zusammen feiern kann, wir können uns ergänzen und bereichern. Das könnte für mich aber auch eine Priesterin sein.

Wie sieht Ihr Alltag in der Pfarrei aus?

Carole Imboden: Es gibt keinen Alltag, und das ist cool. Jeder Tag ist anders: Sitzungen in verschiedenen Teams, Seelsorge-Pikettwochen, wo ich zum Beispiel in ein Spital muss, weil jemand im Sterben liegt. Ich mag das. Ich weiss am Morgen zwar, was ich vorhabe, aber das kann sich immer ändern. Oft arbeiten wir abends oder am Wochenende. Es gibt viel Spielraum, den Tag zu gestalten. Ich kann auch mal erst mittags beginnen oder am Nachmittag wieder zuhause sein.

Was haben Sie in der Berufseinführung gelernt?

Christina Herzog: Wir hatten Begegnungen mit Menschen, die viel Erfahrung in ihrem Beruf haben. Eine Woche lang lernten wir mit zwei Seelsorgerinnen, wie man Seelsorgegespräche führt. Wir haben das Auftreten und das Reden geübt. Andere Module waren Katechese und Religionsunterricht, Liturgie oder Jugendarbeit.

Manchmal hört man, im Theologiestudium verliere man den Glauben. Wie war das bei Ihnen?

Carole Imboden: Ich habe ihn zum Glück nicht verloren, aber er verändert sich. Es gibt Momente, in denen die Zweifel gross sind. Am meisten zu nagen hatte ich beim Kirchenrecht. Wenn es Lehrsätze geben muss, wird der Glaube meiner Ansicht nach in ein Korsett gezwängt. Ich finde das schwierig. Meiner Ansicht nach ist Glaube eine Auseinandersetzung.

Die Kirche verliert Mitglieder, Personal und Gebäude. Wo sehen Sie sich in dieser Kirche in fünfzehn Jahren?

Christina Herzog: Wir sind ja nicht Menschen, die sich zu einer Kirche verhalten, sondern wir sind Menschen, die das Gesicht dieser Kirche ausmachen. Für mich ist die Frage: Was ist mein Teil, den ich beitragen kann, dass das weiterwächst und eine gute Form findet, wie man zusammen Kirche sein kann?

Simone Di Gallo: Seelsorge werden Menschen immer brauchen, ob mit oder ohne Gottesdienst. Seelsorge an sich wird bleiben, unabhängig davon, wie sich die Kirche konkret entwickelt.

Und wie stellen Sie sich Kirche-Sein in Zukunft konkret vor?

Christina Herzog: Zusammen sein, zusammen essen, zusammen beten und feiern und immer wieder das Gespräch und die Auseinandersetzung suchen und sich über die wesentlichen Fragen austauschen. Das würde ich mir wünschen. Es gäbe dafür ganz bunte, kreative Formen von Anlässen: mit Tanz, mit Musik, mit Spaziergängen, mit Feierformen, mit Essen.

Carole Imboden: Ich stelle mir vor, dass wir andere Räume finden oder die, die wir noch haben, so nutzen, dass wir als Gemeinschaft unterwegs sind, dass wir einander etwas angehen, dass wir voneinander lernen wollen. Dass Menschen sich treffen, die interessiert sind, dass das Reich Gottes erlebbar, spürbar wird. Das wäre meine Vision einer Kirche der Zukunft.
 

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So geht’s bei den drei Frauen weiter:

  • Simone Di Gallo hat ihre Berufseinführung in der Pfarrei St. Marien in Bern absolviert und möchte in die Spezialseelsorge einsteigen.
  • Christina Herzog bleibt in den Pfarreien von Bern-West.
  • Carole Imboden war in der Pfarrei Biel-Pieterlen tätig, ist bis Ende Jahr mit dem Circus Monti auf Tournee und wird danach Bundespräses bei der Jubla Schweiz.
     

Podcast mit Christina Herzog und Carole Imboden: