Ostersäckli. Foto: Hans Hug
Seelsorgende trotzen der Coronakrise mit kreativen Ideen
Wie Pfarreimitarbeitende gerade jetzt Nähe zu den Menschen herstellen
Jetzt, wo die Leute zu Hause zu bleiben und ihre sozialen Kontakte aufs Minimum reduzieren sollen, spielen Seelsorgende eine besonders wichtige Rolle. Die Einschränkungen und Verbote stellen auch sie vor grosse Herausforderungen.
Von Corinne Landolt, Projektleiterin «Chance Kirchenberufe»
«Ostern findet statt». Daneben ein einsames Pflänzchen, das aus dem Boden wächst. Die Karte mit einem Schreiben des römisch-katholischen Pastoralraums Schaffhausen-Reiat ging an rund 6000 Haushalte. In locker-vertrautem Ton rief der Brief zum gemeinsamen Feiern an Ostern auf – wegen des Coronavirus dieses Jahr nicht in der Kirche, sondern im eigenen Wohnzimmer. Neben dem Livestream auf der Pastoral-Website übertrugen auch das lokale Radio und Fernsehen die Gottesdienste – damit auch diejenigen ohne Internetanschluss mitfeiern können. «Normalerweise geben die Kirche und das Pfarreileben Gläubigen einen Rahmen und Halt. Jetzt, wo die Rituale weggefallen sind, zeigen wir, dass wir trotzdem für sie da sind – mit den vertrauten Menschen, mit der vertrauten Musik. Das schafft Geborgenheit», sagt Pascal Eng, Vikar in Schaffhausen.
Schweizer Pfarreiseelsorgende haben sich schon einiges einfallen lassen, um trotz Einschränkungen nahe bei den Menschen zu sein. Denn persönliche Gespräche vor Ort sind ausser bei einem Sterbefall nicht mehr erlaubt, auch Gottesdienste, Taufen oder Hochzeiten sind verboten. «Die Situation verlangt gerade einiges von uns allen ab, aber es ist auch eine gemeinschaftsbildende Zeit. Es entwickeln sich viele kreative Ideen», sagt Pascal Eng. So wird unter anderem über Videokonferenz-Tools gemeinsam gebetet, es gibt Predigten per WhatsApp aufs Mobiltelefon oder Videobotschaften vom Pfarrer auf der Website: Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie treiben auch bei der Kirche die Digitalisierung voran.
Primeli für die Ältesten
Statt vor Ort findet Seelsorge jetzt hauptsächlich per Telefon statt. «Die Leute freuen sich, wenn der Pfarrer am Telefon ist», sagt Pascal Eng, der jetzt rund 40 Personen regelmässig anruft – einige kannte er vorher noch gar nicht. Von einigen Gläubigen hatte man in Schaffhausen bereits die Telefonnummern, weitere Nummern wurden mit Hilfe von Frauen- und Seniorengemeinschaften und anderen lokalen und regionalen Vereinen und Gruppierungen zusammengetragen. «Viele ältere Leute leiden darunter, dass sie ihre Enkelkinder nicht mehr sehen dürfen. Oder vermissen die Gesellschaft von Bekannte», sagt Pascal Eng. «Noch drehen sich die Gespräche um Einsamkeit und fehlende Sozialkontakte. Doch längerfristig werden auch die wirtschaftlichen Sorgen und Folgen ein Thema werden», ist der Priester überzeugt.
Neben dem Zuhören und Mut machen sehe er es auch als seine Aufgabe an, die Leute auf Hilfsangebote aufmerksam zu machen. «Gerade ältere Leute tun sich schwer damit, Hilfe anzunehmen. Wir machen ihnen im Gespräch klar, dass es Sinn macht, wenn zurzeit andere für sie einkaufen gehen oder sonst etwas für sie erledigen.»
Während ältere Leute im Heim weiterhin auf feste Strukturen zählen können und versorgt sind, ist der Lockdown besonders problematisch für die Seniorinnen und Senioren, die in ihren eigenen vier Wänden leben und alleinstehend sind. «Es ist wichtig, dass wir uns um sie kümmern. Sie fallen sonst durch alle Maschen. Die meisten sind sehr dankbar, wenn wir sie anrufen.» Bereits vor ein paar Wochen stellten Ministranten und andere Jugendliche den Älteren Primeli mit einer Grusskarte vor die Türe.
Eine Gartenparty zum Abschied
Beerdigungen sind noch erlaubt, aber nur direkt am Grab und im kleinen Kreis. «Gerade wegen der Schlichtheit der Feier und dem stark eingegrenzten Teilnehmerkreis zeigen wir den Trauernden zusätzlich Möglichkeiten auf, wie sie sich, auch nach der Beisetzung, in einem breiteren Rahmen von der verstorbenen Person verabschieden und auch andere daran teilhaben lassen können», sagt Pascal Eng.
Stirbt jemand, finden Trauergespräche zurzeit nur per Telefon statt, erst bei der Bestattung sieht man sich am Grab. Das ist auch für Edith Birbaumer, Pfarreiseelsorgerin in den Luzerner Pfarreien St. Anton und St. Michael, gewöhnungsbedürftig. «Bei Beisetzungen schwingt zurzeit immer ein bisschen Wehmut mit – bei den Trauernden, aber auch bei mir.» Aber es sei dennoch wichtig, den Abschied nicht auf später zu verschieben. «Man kann die Trauer nicht vertagen. In drei Monaten ist sie nicht mehr dieselbe wie gerade nach einem Todesfall.»
Vor allem am Anfang des Lockdowns wollten Trauernde auf eine Bestattung verzichten, oft aus Verunsicherung, sagt Edith Birbaumer. «Wir haben ihnen aufgezeigt, dass Beisetzungen auch in Pandemie-Zeiten möglich sind.» Und dass es trotz der Einschränkungen Lösungen für alle gebe. «Wir haben zum Beispiel ein einfaches Gebet entworfen, das Trauerfamilien im Vorfeld verschicken können – damit andere im Moment der Bestattung in Gedanken dabei sein können.»
In der Katholischen Kirche der Stadt Luzern gibt es Überlegungen, nach dem Lockdown einen grossen Gottesdienst zu feiern für alle, die während der Pandemie gestorben sind. Für konkrete Pläne sind allerdings noch zu viele Bedingungen unklar. Trauernde haben aber auch ihre eigenen Ideen, wie sie zu einem späteren Zeitpunkt in einem grösseren Kreis Abschied nehmen wollen – zum Beispiel mit einem Sommerfest im Schrebergarten des Verstorbenen. «Wir ermutigen die Leute, eigene Wege zu finden, um mit der Trauer umzugehen», betont Edith Birbaumer.
Auch die Luzerner Pfarreiseelsorgerin telefoniert jetzt oft mit ihren Mitmenschen oder schreibt ihnen E-Mails. «Nachdem ich ein paar Zeilen darüber geschrieben habe, was diese Zeit mit mir macht und wie die kollektive Erfahrung die Gesellschaft verändern könnte, haben viele den Ball aufgenommen, und es entstand ein sehr schöner, spannender Austausch. So erfahre ich zum Beispiel von Grosseltern, wie sehr ihnen die Enkel fehlen. Sie vermissen deren quirlige Welt und das angenehme Chaos.»
Persönliche Briefe für Häftlinge
Auch Marek Slaby sucht nach anderen Wegen, für andere da zu sein. Der gebürtige Pole ist Diakon in der Pfarrei St. Niklaus in Hombrechtikon und auch als Gefängnisseelsorger tätig. Auf Ostern hin hat das Seelsorgeteam zusammen mit der Kirchenpflege Kerzen in Briefkästen gelegt. Man müsse jetzt sehr kreativ sein und sich den Bedürfnissen immer wieder neu anpassen: «Wir fragen uns immer wieder: Machen wir genug? Was wird nächste Woche sein?»
Trotz Corona – die katholische Kirche in Hombrechtikon bleibt tagsüber weiterhin geöffnet. Statt Gottesdiensten gibt es dort jetzt eine Ausstellung mit spirituellen Texten. «Es ist sehr wichtig, dass die Menschen gerade auch jetzt ihre vertrauten Räume zur Verfügung haben.»
Besonders Gefängnisinsassen macht die Situation zu schaffen, sie sind in der Corona-Krise noch isolierter als sonst. «Ich merke, dass das sehr schwierig ist für sie», sagt Marek Slaby. Er besucht die Häftlinge nach wie vor. Er ist überzeugt, dass besonders in solchen Momenten die Begegnung, das Gespräch, das Zuhören, das Gebet und miteinander die Situation zu tragen eine sinnvolle Unterstützung ist. Marek Slaby hat vor Ostern allen Insassen einen persönlichen Brief geschrieben – mit verschiedenen Texten und Impulsen.
Durch die Einschränkungen wegen des Corona-Virus entwickelten auch andere Menschen vermehrt ein Gefühl dafür, was es heisst, in seinen eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein, sagt Marek Slaby. «Einige Leute sagen mir, sie fühlten sich momentan wie im Gefängnis. Sie spüren, was Einsamkeit und Isolation bedeutet, sie werden bedürftiger.»
Noch weiss niemand, wie lange die Pandemie mit ihren Einschränkungen andauert. Die fehlende Planungssicherheit sei ein kommunikative Herausforderung, sagt Vikar Pascal Eng. «Man muss Tag für Tag schauen, was und vor allem wie man kommuniziert.» Aber die jetzige Zeit sei auch eine Chance für die Kirche. «Wir erfahren eine neue, breitere Wahrnehmung in der Gesellschaft. Die Leute sehen, dass wir nicht nur Gottesdienste feiern, sondern uns auch diakonisch-sozial engagieren.»
Für die Mitmenschen da – auch nach der Corona-Krise
Gerade in schwierigen, unsicheren Zeiten rückt wieder ins Bewusstsein, wie wichtig soziale Kontakte und Begegnungen sind – und was für einen grossen Beitrag Seelsorgende tagtäglich leisten. Mitarbeitende von Pfarreien haben ein offenes Ohr für Sorgen und Ängste, geben Mitmenschen Halt. Doch die katholische Kirche hat Nachwuchssorgen. Dabei zeigt die Pandemie einmal mehr, wie spannend und vielfältig die verschiedenen Berufe sind, dass sie eindrückliche Begegnungen mit Menschen ermöglichen und viel Raum für persönliche Gestaltung und für Kreativität lassen. «Chance Kirchenberufe» macht die Vielfalt der Arbeitsmöglichkeiten in der katholischen Kirche bekannt. Engagierte Berufsleute wecken in Onlineporträts oder im Herbst jeweils auf Plakaten das Interesse am Arbeiten in der katholischen Kirche. Damit die Pfarreien ihre Stellen auch in Zukunft besetzen können – mit engagierten Mitarbeitenden, die nicht nur in Krisenzeiten für ihre Mitmenschen da sind.
Weitere Infos: www.chance-kirchenberufe.ch