Theologe, Priester, Gemeindegründer, Ökumeniker – Laurentiu Precup. Foto: Pia Neuenschwander
Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden
In der Heiligkreuzkirche soll das erste rumänisch-orthodoxe Zentrum der Schweiz entstehen. Priester der
kleinen Gemeinde ist Laurentiu Precup. Ein Porträt.
Die rumänisch-orthodoxe Kirchgemeinde St. Georg wird nächstes Jahr die Liegenschaft der heutigen katholischen Pfarrei Heiligkreuz in der Berner Tiefenau übernehmen. Gründer und Priester der kleinen Gemeinde ist Laurentiu Precup.
Das Gespräch mit Laurentiu Precup ist bezeichnend für die Lage der rumänisch-orthodoxen Kirche St. Georg in Bern: Wir treffen uns in der katholischen Kapelle auf dem Inselareal, wo die rund 200 Familien umfassende Gemeinschaft Gastrecht hat und Gottesdienste durchführt. Wir hatten unseren Termin sehr kurzfristig vereinbart, und beim Betreten der Büroräume war klar: alles besetzt, kein Platz für ein konzentriertes Gespräch. Für Spontaneität besteht offenbar wenig Spielraum. Precup will dabei niemandem Vorwürfe machen, sondern zeigt sich äusserst dankbar: «Wir erhalten sehr, sehr viel Entgegenkommen.» Aber die Gastgeber haben selbstverständlich Vorrang. Genau das ist der Punkt: «Wir suchen einen Ort, wo sich unsere Gemeinde jederzeit treffen kann», schildert Precup. Er improvisiert, und wir finden in einer Ecke der protestantischen Kapelle im Nachbargebäude einen Tisch und zwei Stühle für das Interview.
Heimatpflege und Integration
Der Ende April vereinbarte Kaufvertrag für die Räumlichkeiten der katholischen Pfarrei Heiligkreuz in der Tiefenau ist ein wichtiger Meilenstein für die Gemeinde St. Georg Bern. Für 900 000 Franken wechselt die Liegenschaft voraussichtlich Mitte 2018 den Besitzer – ein äusserst günstiger Preis. Geschätzt wird der Wert auf mehrere Millionen Franken. Zwei Gründe sind für das Entgegenkommen zentral: Die Räumlichkeiten sind denkmalgeschützt und damit auf dem freien Immobilienmarkt schwer verkäuflich.
Zu verstehen sei der günstige Preis auch als Unterstützung für eine Schwestergemeinde, heisst es auf beiden Seiten. Das Gebäude diene schliesslich weiterhin kirchlichen Zwecken.
Diese christliche Solidarität hat deutlich mehr Gewicht als die Unterschiede zwischen den beiden Konfessionen: So wird bei den Orthodoxen die Unfehlbarkeit des Papstes nicht anerkannt, und Priester dürfen heiraten. Ein orthodoxer Gottesdienst in der katholischen Kapelle auf dem Inselareal wird von rund 70 bis 90 Gläubigen besucht und dauert etwa drei Stunden, gefolgt von einer kleinen gemeinsamen Mahlzeit. Hinter dem Priester steht eine Wand von Ikonen, und anstelle einer Orgel trägt ein Kantor byzantinische Gesänge vor.
Das erste Zentrum schweizweit
Die rumänisch-orthodoxe Kirche in der Schweiz umfasst heute 13 Gemeinden. Bern existiert seit 2004 als fünfte nach Genf, Lausanne, Zürich und Lugano. In Neuchâtel ist ebenfalls der Bau einer Kirche in Planung, doch für Bern ist ein ambitiöseres Projekt vorgesehen: Hier soll das schweizweit erste Zentrum entstehen. Über religiöse Aktivitäten hinaus sollen Menschen in sozialen Notlagen hier einen Ort für Beratung und Unterstützung erhalten.
Auch kulturelle Veranstaltungen mit rumänischer Folklore, Konzerten, Theater, Vernissagen und Lesungen schweben Precup vor. Ebenso sollen Sitzungszimmer und Schulräume entstehen, nicht nur für den Religionsunterricht der Kinder, sondern auch für Sprachkurse in Deutsch und Rumänisch. «Wir wollen mit den Deutschkursen die Integration unserer Mitglieder hier in der Schweiz fördern und mit den Rumänischkursen unsere Muttersprache pflegen sowie unsere rumänische Identität weitergeben», erläutert der Gründer der Gemeinde. Er weiss, dass er für diese Ziele einen langen Atem braucht.
Das Einzugsgebiet der rumänisch-orthodoxen Kirche in Bern reicht von Moutier bis Interlaken und von Biel bis Aarau. Die Zahl der Mitglieder liegt mit heute 200 Familien noch auf tiefem Niveau. Precup setzt langfristig auf Wachstum.
Ein Teil der Ökumene
Das Engagement von Laurentiu Precup geht weit über seine Gemeinschaft hinaus: Er beteiligt sich an der Ökumene und nahm bereits mehrfach als Vertreter der Orthodoxie an der Nacht der Religionen in Bern teil. Der Priester kennt sich aus: In Rumänien hat er ein orthodoxes Theologiestudium abgeschlossen und sich später in Chur und Fribourg mit der katholischen und der protestantischen Konfession vertraut gemacht. Und zwischen beiden bewegt er sich nun auch buchstäblich. Unser Gespräch in der reformierten Kapelle der Insel wird unterbrochen. Frauen mit Matten und Kissen sind eingetroffen und bereiten sich auf eine Meditationsstunde vor. Die Botschaft ist klar: Wir müssen einen anderen Raum finden. Inzwischen ist das rund 20 Meter entfernte Büro der Katholiken frei. Wieder ziehen wir um. Die Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden lässt sich nachfühlen.
Hannah Einhaus
Tipps, Links und Hinweise zur orthodoxen Kirche und zu Ikonen
Ikonen – Fenster zum Himmel. Radio SRF2 Kultur, Perspektiven, Sendung vom 20. April 2014
Online-Artikel zum Thema auf der Seite des Schweizer Fernsehens: Die Ikonen der Ostkirche und ihre Geheimnisse. Ikonen bewegen, faszinieren – und erleben derzeit eine Renaissance: An der amerikanischen Yale University kann man Ikonen-Malerei sogar studieren. Ein Besuch bei Maler und Theologe George Kordis, der seinen Studenten die Geheimnisse der Ikonen-Malerei offenbart.
Die rumänisch-orthodoxe Kirche auf Wikipedia
Und hier die Infos zu den Ikonen auf eben dieser Onlineenzyklopädie
Schönes Erklärvideo zur orthodoxen Kirche auf dem Kindersender KiKa