Schade, dass die Toten diesen Blick aus dem Sarg nicht haben. Foto: Sylvia Stam

Selbstversuch: Probefahrt im Sarg

Das Stadtfestival «endlich.menschlich» lädt diese Woche zur Auseinandersetzung mit dem Tod. Zum Beispiel: Probeliegen im Sarg oder im kompostierbaren Häckselbett. Ein Selbstversuch.

 

Sylvia Stam

Der Rucksack mit dem Laptop passt nicht in den Sarg. Auch die Handtasche mit dem Portemonnaie lasse ich zurück. Unter den neugierigen Blicken einer Handvoll Friedhofsbesucher:innen klettere ich in Sarg. Seine Wände sind mit weissem Stoff ausgekleidet, beim Kopf ein Kissen. Ich werde gebeten, die Schuhe auszuziehen. Die werde ich wohl im Jenseits nicht brauchen, denke ich. 

Ich lege mich hin. Es ist eng, zumal im Wintermantel. Auf meinen Wunsch wird der Deckel auf den Sarg gelegt. «Wir schrauben ihn nicht zu, versprochen!», hatte Gyan Härri vom Bestattungsinstitut Aurora gescherzt. Wohl aus diesem Grund ist es nicht ganz dunkel im Sarg. Es riecht nach Holz. Nach ein paar Minuten klopfe ich an den Sargdeckel.

Enttabuisierung des Todes, darum geht am Stadtfestival «endlich.menschlich». Noch bis am 27. Oktober laden Friedhöfe, Bestattungsunternehmen, Kirchen und andere Organisationen zur Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit ein. Vor der Kapelle auf dem Bremgartenfriedhof bietet das Bestattungsunternehmen Aurora an diesem Tag ein Probeliegen im Sarg samt Fahrt mit dem Bestattervelo an.  
 

 


Sarg löst Reaktionen aus

Als der Sargdeckel weg ist, laden zwei Mitarbeitende des Bestattungsinstituts den Sarg mit geübten Griffen auf die Ladefläche des Bestattervelos. Diese ist mit kleinen weissen und lila Blüten geschmückt. Dann geht die Fahrt los: eine kleine Runde über den Bremgartenfriedhof. Der Blick ist toll: Die langen, geraden Wege sind von Bäumen gesäumt, gelbes Laub, darüber Himmel. Schade, denke ich, dass ein:e Verstorbene:r das nicht sehen kann. 

Das Velo, ein E-Bike, fährt erstaunlich schnell. 10 bis 20 Verstorbene führen sie pro Jahr mit dem Velo durch die Stadt, sagt Härri. Das löse Reaktionen aus: Manche starrten, besonders beim Halt am Fussgängerstreifen; überholende Velofahrer:innen wünschten «Gute Reise». 

Als das Velo mit mir im Sarg wieder vor der Kapelle steht, reicht Härry mir die Hand, damit ich aus dem Sarg aussteigen kann. Ein Anblick, der manche Zuschauenden belustigt. Härri bedankt sich für meinen Mut, den es mich nicht sonderlich gekostet hat. 

Kompostbestattung im Kräuterduft

Anders bei der nächsten Probefahrerin. Als sie von der Rundfahrt zurückkommt, erzählt sie sichtlich bewegt, wie sie auf der Fahrt an Menschen denken musste, die sie verloren habe. Und an ihre Eltern, die wohl in absehbarer Zeit sterben würden. 

In der konfessionsneutralen Friedhofskapelle ist eine weitere Selbsterfahrung möglich. Hier kann man sich auf ein Häckselbett legen. Dieses wird für eine Kompostbestattung verwendet. Dabei wird der Körper unter dem Einfluss von Sauerstoff in Erde umgewandelt. Diese Bestattungsart ist in der Schweiz noch nicht möglich. Der Verein «Werde Erde» setzt sich für deren Legalisierung ein. 
 

 


Das Häcksel ist in eine Holzkiste gefüllt, den Seitenwänden entlang liegen stark duftende Kräuter. «Artemisia». erklärt Angela Denkinger, Vorstandsmitglied des Vereins. Ich lege mich auf das «Bett» zwischen die Kräuter. Auch hier liege ich weich, geräumiger als im Sarg, umgeben vom betörenden Duft. Schade, dass die Toten diesen nicht riechen können, denke ich. Er vermittelt das Gefühl, inmitten der Natur zu sein.

Nährstoffe recyceln

«Die Nährstoffe unseres Körpers sollen nicht verschwendet werden, sondern zurück in den Boden gelangen», erklärt Denkinger das Anliegen. Der Leichnam wird auf Pflanzenmaterial gelegt und luftdicht eingeschlossen. Durch Mikroorganismen kommt es zu einem Gärungsprozess, sodass der Körper innerhalb von rund 40 Tagen abgebaut wird. Zurück bleiben drei Schubkarren Erde und die Knochen, die, wie bei der Kremation, zermahlen und der Erde beigefügt werden. 

Für manche Menschen sei die Vorstellung, dass der Körper verbrannt werde, negativ behaftet, für andere, die Vorstellung, von Würmern zerfressen zu werden, sagt Gyan Härri, der im Beirat des Vereins sitzt. Die Kompostbestattung könne eine Alternative bieten. Eine Besucherin ist begeistert: «Man kann die Erde in den Garten schütten, dann wächst etwas Neues daraus!»

Auferstehung nannte man das früher, denke ich, und verlasse nachdenklich die konfessionsneutrale Friedhofskapelle.