Verantwortliche von fünf Religionsgemeinschaften unterzeichnen die Erklärung. Foto: Vera Rüttimann
Sichere Fluchtwege und bessere Integration gefordert
68 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Verantwortlichen jüdischer, muslimischer und christlicher Religionsgemeinschaften setzen sich für diese Menschen ein.
Die im Schweizerischen Rat der Religionen vertretenen Religionsgemeinschaften fordern ihre Mitglieder auf, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Gleichzeitig appellieren sie an die Adresse des Staates und der Politik, Verantwortung für die Bedürfnisse von Flüchtlingen zu übernehmen. Es ist das erste Mal, dass sich in der Schweiz Juden, Christen und Muslime gemeinsam zu Flüchtlingsfragen äussern.
Von Hannah Einhaus
Die Religionszugehörigkeit kann ein Fluchtgrund sein, sie ist ein wichtiger Bestandteil der Identität, und sie kann im Aufnahmeland eine wichtige Rolle für die Integration spielen. Wenn es um den Schutz von Flüchtlingen und deren Integration geht, kommt den Religionsgemeinschaften und ihren Organisationen eine tragende Rolle zu. Aus diesen Überlegungen haben die im Schweizerischen Rat der Religionen vertretenen Religionsgemeinschaften am 7. November in Bern eine gemeinsame Flüchtlingserklärung unterzeichnet.
Harald Rein, Bischof der christkatholischen Kirche der Schweiz und amtierender Vorsitzender des Schweizerischen Rates der Religionen, betonte: «Für Juden, Christen und Muslime gilt: Jeder Mensch ist Geschöpf Gottes und steht somit unter dessen Schutz. Für uns Gläubige ergibt sich daraus eine besondere Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen.» Den Religionsgemeinschaften in den Aufnahmeländern komme demnach eine wichtige Brückenbauerfunktion zu.
Fünf Appelle für einen starken Flüchtlingsschutz
Fünf Appelle haben die Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz, des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, der Christkatholischen Kirche der Schweiz, der beiden muslimischen Dachverbände FIDS und KIOS und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes zur schweizerischen Flüchtlingspolitik unterzeichnet. Darin thematisieren sie erstens den Schutz vor Ort, welcher ein wichtiges Ziel der Schweizer Flüchtlings- und Aussenpolitik sein soll.
In der Schweiz braucht es zweitens faire und effektive Asylverfahren, in denen der Flüchtlingsbegriff gemäss Genfer Flüchtlingskonvention umfassend angewendet wird. So sollen von Bürgerkrieg betroffene Menschen den Flüchtlingsstatus statt einer vorläufigen Aufnahme erhalten.
Die Unterzeichner der fünf Appelle plädieren drittens für eine vermehrte Wiederansiedlung von Menschen direkt aus den Kriegsländern, wie dies einst auch mit Kontingenten aus Ungarn, Tibet oder Vietnam der Fall war. Unerlässlich sei auch, dass dem Recht auf Familienleben Rechnung getragen werde, sowie viertens eine frühzeitige Integration von Flüchtlingen. Insbesondere in diesem Bereich können Religionsgemeinschaften ihren Beitrag leisten, indem sie Freiwilligenarbeit und Nachbarschaftshilfe leisten.
Für Flüchtlinge wiederum ist gemäss Erklärung die Respektierung hiesiger Regeln zentral, um sich integrieren zu können und Teil dieser Gesellschaft zu werden. Weiter wird fünftens eine Rückkehr in Würde für Personen gefordert, welche die Kriterien für die Schutzgewährung nicht erfüllen. Dazu gehören menschenrechtliche Standards beim Vollzug der Wegweisung und die Beachtung des Kindeswohls in jeder Situation.
UNHCR spricht von «Vorzeigeprojekt»
Nach der Unterzeichnung der Erklärung durch die Präsidenten der sechs Verbände, darunter Charles Morerod von der Schweizerischen Bischofskonferenz, überreichte Harald Rein das Dokument der Nationalratsvizepräsidentin Marina Carobbio Guscetti. Das Büro des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) für die Schweiz und Liechtenstein unterstützt die Realisierung der Interreligiösen Erklärung zu Flüchtlingsfragen ebenfalls. Für dessen Leiterin Anja Klug ist dieser nationale Dialog von grosser Bedeutung: «Diese interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen ist ein wichtiges Vorzeigeprojekt, das hoffentlich auch in weiteren Ländern Schule macht.» Mit den verantwortlichen Bundesstellen in der Schweiz wird es in den kommenden Tagen einen Austausch zur Flüchtlingserklärung geben. Die Dringlichkeit ist unbestritten: Weltweit sind über 68 Millionen Menschen auf der Flucht – so viele wie noch nie. Rund die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder.