Gefühle zulassen, ganz bewusst. Foto: Patrick Fore/Unsplash
Spezielle Sommergefühle
Der Sommer bringt uns manchmal zum Kochen. Warum auch Wut und Angst zum Psychisch-Gesundsein gehören.
Mit einem heftigen Wutausbruch reagierte jüngst mein Jüngster auf die Tatsache, dass seine Schwester ihn einfach stehen liess und davoneilte. Er schickte ihr Tränen und Verwünschungen hinterher, was die Sache auch nicht besser machte. Für einmal konnte ich gelassen reagieren: Ich musste niemanden zurechtweisen, weder die Davoneilende noch den Zurückgelassenen, sondern konnte ihm einfach in seinem Wütendsein beistehen. Denn das ist es, was uns und unsere Kinder psychisch gesund, resilient und innerlich reich macht – die Gefühle zu fühlen, ohne dass sie uns jemand ausredet, ohne sie als unerwünscht oder kontraproduktiv abzustempeln.
Warum das so wichtig ist, beschreibt die Referentin und Autorin Vivian Dittmar in ihrem Buch «Gefühle und Emotionen – eine Gebrauchsanweisung ». Gefühle befähigen uns, so Dittmar, adäquat auf die Situationen in unserem Alltag und auf unsere Mitmenschen zu reagieren. Das fühlte wohl auch schon Abraham, als er seine Steintafeln zerscherbeln liess. Also lasse ich meinen 7-Jährigen einen Moment seine Wut zelebrieren, nehme ihn dann auf die Schoss, und schon nach wenigen Minuten kann er sein Bedürfnis äussern: Ich möchte, dass wir zusammen gehen.
Nicht immer gelingt es mir, so ruhig einen Wutausbruch mitzuverfolgen. Wenn dabei etwas in die Brüche geht, wenn er mich verletzt oder wenn ich nicht ausgeruht bin, ja, dann kocht auch bei mir ein Gefühl hoch. Ich bin doch kein emotionaler Abfalleimer. Seelsorgende können da bestimmt professionelle Distanz einfügen, wenn eine Ladung Trauer, Wut oder Angst daherkommt. Ich behelfe mich mit der Gewissheit, dass Menschen nur dann emotional abladen, wenn sie sich bei mir aufgehoben fühlen und Vertrauen empfinden. Das wiegt doch die Mühen schon etwas auf. Und noch eine Einsicht nehme ich mir zu Hilfe: Nicht nur Freude ist wertvoll. Auch Trauer, Wut, Angst und Scham sind Sommergefühle. Auch sie sollen Platz haben zwischen den Badetüchern und Sonnenschirmen.
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Susan Glättli, 38, die Geografin hat sich der Nachhaltigkeit und der Kommunikation verschrieben. Sie liebt Worte, nichtfestgehaltene Musik, Wildnis und integre Menschen.