«An Ostern zeigt Gott: Wir dürfen und können über uns hinauswachsen.» / Foto: Martin Manigatterer

Spiegelbilder unseres Lebens

08.04.2023

Warum der Karfreitag nicht den Schlusspunkt bildet

Die Tage vor Ostern sind voller Emotionen: Feiern, Tod, Trauer, Freude. Die Welt kennt unzählige Karfreitage, etwa in der Ukraine oder in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten. Dennoch sind Scheitern, Leid und Hoffnungslosigkeit nicht die Schlusspunkte.

von Jacqueline Straub*

In der Karwoche bündeln sich so viele Emotionen, irgendwie ist diese besondere Zeit ein Spiegelbild unseres Lebens: In einem Moment läuft alles prima und wir denken, dass uns die Welt gehört. Schon kurze Zeit später müssen wir realisieren, dass nicht immer alles rund läuft im Leben. Unsere Lebensläufe haben alle Brüche und Beulen. So auch das Leben von Jesus. An Palmsonntag wird er noch bejubelt, alle wollen Anteil haben an seinem Ruhm. Jesus wird gefeiert, besungen, hochgelobt. Kurz darauf wird er verlassen, verraten, beweint.

Davor soll es allerdings noch ein letztes Fest geben. Jesus lädt zu seinem letzten Abendmahl ein. Wenige Stunden danach ist seinen Freund:innen nicht mehr zum Feiern zumute. Dann stehen jene, die kurz davor noch auf ihn angestossen haben, weinend am Wegrand und unter dem Kreuz. Doch Jesus hinterlässt bei seinen Freund:innen nicht einfach nur Schmerz und Aussichtslosigkeit: Im Mahl erhalten sie und alle kommenden Generationen Anteil an seinem Leben und Wirken. Das letzte Abendmahl ist Schlusspunkt und Neubeginn zugleich. Denn Jesus wird sterben, aber Christus wird auferstehen, um den Menschen für immer zur Seite zu stehen.

Und dann kommt der Tag der Trauer und der Gelähmtheit. Karfreitag erleben wir seit über einem Jahr in der Ukraine. Aber auch das Erdbeben in der Türkei und Syrien, bei dem rund 50000 Menschen ihr Leben verloren haben, ist ein düsterer Karfreitag, der unendliches Leid gebracht hat. Die Frage nach dem Warum bleibt dabei unbeantwortet. Auch Jesus stellt die Warum-Frage am Kreuz: «Eloi, Eloi, lema sabachtani!» – heisst übersetzt: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?». Es sind Gebetsworte, an Gott gerichtete Flehworte. Die Worte Jesus stammen aus Psalm 22. Der ganze Psalm drückt nicht nur die Tiefe der Gottverlassenheit aus, sondern auch die Hoffnung auf Rettung. Es wird eine tiefe Leidenserfahrung und gleichzeitig Hoffnung auf ein gutes Ende beschrieben.

Jesus stirbt im tiefsten Elend. Er ist gescheitert, könnte man sagen. Noch heute, 2000 Jahre nach seinem Leben und Wirken, ist er weltbekannt. In einer Studie der University of Cambridge zu den 100 bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte landete Jesus Christus auf dem ersten Platz. Auch wenn Karfreitag brutal ist, zeigt Jesus an Ostern, dass er nicht im Tiefpunkt geblieben ist. Er überwindet Schmerz und Aussichtslosigkeit, ohne das Leid zu relativieren. An Ostern zeigt Gott: Wir dürfen und können über uns hinauswachsen. Die Tiefen des Lebens müssen nicht von uns allein bezwungen werden. Jesus geht in jede Krise unseres Lebens hinein. Jeden Schmerz, der uns fast zerreisst, kennt er. Ostern will sagen, dass die Menschen und seine Geschöpfe Gott nicht egal sind.

Karfreitag und Ostern sind Spiegelbilder unseres Lebens: Doch Karfreitag ist nicht der Schlusspunkt. Denn Ostern ist der neue Startschuss, der darauf hoffen lässt, dass bessere Zeiten anbrechen.
 

*Jacqueline Straub ist Theologin, Buchautorin und Redaktorin bei kath.ch. Sie fühlt sich zur Priesterin berufen und engagiert sich stark für Gleichberechtigung in der katholischen Kirche.