Einen schönen Advent! Foto: knallgrün, photocase

Stellt euch infrage!

23.11.2016

Josef Imbach zum 1. Adventssonntag

«Seid wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet» (Matthäus 24,42–44).
Wohl möglich, dass zutrifft, was manche mutmassen, nämlich dass Jesus hier den Seinen eine Lehre erteilt, indem er auf einen kürzlich begangenen Einbruch anspielt. Damit fordert er uns nicht auf, unsere Türen und Fenster zu verriegeln. Vielmehr sollen wir unsere Augen und Ohren, vor allem aber unsere Herzen offenhalten.

Nicht zufällig ruft uns die Kirche diese Aufforderung Jesu zur Wachsamkeit gleich zu Adventsbeginn in Erinnerung, zu einem Zeitpunkt also, da alle Welt bereits an Weihnachten denkt, statt sich auf das Fest von Christi Geburt vorzubereiten. Zur Vorbereitung gehört die richtige Vorstellung. Dass Jesu Zeitgenossen ihn nicht als Messias erkannten, lag nicht am bösen Willen (wie die Evangelisten gelegentlich unterstellen, nachdem die Spannungen zwischen der alten und der neuen Glaubensgemeinschaft in eine Spaltung ausgeartet sind). Schon gar nicht waren seine Landsleute blind, wohl aber geblendet. Die einen erwarteten einen politischen Führer, andere einen König, manche gar einen Priesterkönig – eine Persönlichkeit also, die Israel wiederum zu Macht und Ansehen verhelfen sollte.
Und Jesus? Passte zu keiner dieser Vorstellungen. Schon deshalb konnte er nicht der erwartete Messias sein!

Was bedeutet uns Weihnachten? Was erhoffen wir uns von diesem Fest? Seid wachsam! In Bezug auf Weihnachten bedeutet das: Geht nicht einfach von euren vorgefassten Betrachtungsweisen aus, sondern stellt sie infrage. Was besagt: Stellt euch infrage! Dann kommen wir wohl schnell darauf, dass Weihnachten nicht in den Schaufenstern und in den Kaufhallen stattfindet, sondern in unseren Herzen. Und vielleicht sogar in unseren Kirchen.
Eine schöne Illustration zu Jesu Weckruf bildet eine jüdische Geschichte aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung: «Rabbi Eliezer pflegte zu sagen: Einen Tag vor deinem Tod denke um! Da fragten die Schüler Rabbi Eliezer: Weiss denn der Mensch, an welchem Tag er sterben wird? Er antwortete ihnen: Umso mehr soll er heute umdenken, falls er morgen stirbt. So gestaltet er sein ganzes Leben nach dem Geist der Umkehr.»

Josef Imbach*

*ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.