Françoise Caraco posiert mit einer Ausgabe ihres Bildtextbandes «Hidden Istanbul» über ihre sephardische Spurensuche am Bosporus, wo die Wurzen ihrer Familie liegen. Foto: Antonio Suárez

Streifzug durchs sephardische Istanbul

09.03.2024

Präsentation der Basler Künstlerin Françoise Caraco

Anhand historischer und zeitgenössischer Bild- und Textdokumente vermittelte die Künstlerin Françoise Caraco diese Woche im Haus der Religionen Einblicke in die jüdisch-sephardische Kultur Istanbuls. Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema bildete die eigene Familiengeschichte.

Von Antonio Suárez

«Ich wurde und werde immer wieder auf meinen Nachnamen angesprochen. In meiner Familie wurde erzählt, es handle sich um einen spanischen Namen. Zwar stamme mein Urgrossvater aus Konstantinopel, doch kämen unsere Vorfahren ursprünglich aus Spanien, seien also sephardische Juden. Irgendwann gelangte ich an einen Punkt, an dem ich mehr darüber erfahren wollte. Ich wusste, dass wir zuhause noch alte Fotos und Dokumente hatten. Und so begann ich zu recherchieren.» So schilderte Künstlerin Françoise Caraco am vergangenen Mittwoch im Haus der Religionen in Bern den Moment, der sie vor über zehn Jahren dazu bewog, den familiären Wurzeln auf den Grund zu gehen.


Ursprünge in Spanien und Portugal

Resultat der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema ist ihr Bildtextband «Hidden Istanbul» (Art Paper Editions, 2021). Darin verwebt sie die eigene Familiengeschichte mit den Stimmen von 20 jüdischen Bewohner:innen Istanbuls im Alter von 18 bis 96 Jahren, die sie während mehrerer Aufenthalte befragte. Es handelt sich um Sephardim, also um Nachfahren spanischer und portugiesischer Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts per Ausweisungsedikt gezwungen wurden, die Iberische Halbinsel zu verlassen, weil sie sich weigerten, zum Christentum zu konvertieren. Die meisten von ihnen fanden Zuflucht im religiös toleranteren Osmanischen Reich, wo sie ihre Sprache und Kultur über die Jahrhunderte pflegten. Das mit dem Altkastilischen verwandte Ladino wird jedoch nur von einer verschwindenden Minderheit der rund 22'000 sephardischen Juden gesprochen, die nach Schätzungen heute noch in der Türkei leben.

Nach Istanbul

Den ultimativen Textbeleg für ihre sephardischen Wurzeln entdeckte Françoise Caraco im Familiennachlass. Dort stiess sie auf eine in Judäo-Spanisch verfasste Postkarte der jüngsten Schwester ihres Urgrossvaters Isaac. Sie war das einzige Familienmitglied, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Konstantinopel blieb, während ihre Geschwister mehrheitlich nach Frankreich emigrierten. Isaac Caraco hingegen zog 1905 in die Schweiz, wo er später die Jüdin Clara Bollag aus Endingen ehelichte.

Dank einer Memoirenabschrift des Grossvaters Robert, gelang es Françoise den Stammbaum teilweise zu rekonstruieren. Dennoch blieb vieles im Dunkeln, da selbst die hochbetagte Tochter der in der Türkei verbliebenen Schwester des Urgrossvaters nur dürftige Auskünfte erteilen konnte. Dabei bildete ausgerechnet eine Zufallsbegegnung im Spitzengeschäft der Familie mit den Nachfahren dieser Schwester den äusseren Anlass für die Nachforschungen der Künstlerin, die trotz des Rückschlags nicht lockerliess. «Und so beschloss ich, weitere jüdische Bewohner Istanbuls über deren Leben zu befragen», erinnert sich die Künstlerin, die an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft Fotografie unterrichtet.


Kulturelles Erbe

Über das Sephardische Kulturzentrum in Istanbul gelang es Caraco schliesslich, erste Kontakte zu knüpfen. Und so entstand allmählich aus den Tonfragmenten der Interviews, dem fotografischen Archivmaterial und den Momentaufnahmen ein kaleidoskopisches Gesamtbild des jüdisch-sephardischen Lebens in Istanbul. Die Lücken in der Familienbiografie entmutigten Caraco nicht, sondern spornten sie an: «Der Reiz bestand darin, diese Leerstellen zu füllen», erklärt sie. «Ich finde es interessant, etwas zu thematisieren, was nicht unbedingt sichtbar ist.» Bei der Auswahl der Fotomotive ging sie intuitiv vor. Mit einem «touristischen Blick» fotografierte sie die Stadt jeweils während ihrer Reisen von einem Interview zum nächsten.

Durch die Gespräche gewann die Künstlerin nicht nur neue Freunde. Auch über das Judentum lernte sie vieles. Pessach, Jom Kippur und andere hohe jüdische Feste kennt sie inzwischen aus eigener Anschauung. Sogar den jüdischen Kalender hat sie auf ihr Handy geladen. «Zwar bin ich nicht jüdisch erzogen worden. Doch die jüdische Kultur und Religion liegen mir inzwischen näher. Auch die Zusammenhänge verstehe ich jetzt besser. Das Thema wird mich weiterhin begleiten», versichert die gebürtige Baslerin, die bereits ihr nächstes Projekt plant, bei dem sie den eigenen Familiengeschichten noch mehr Platz einräumen möchte.