Suizid-Kapsel «Sarco» legt Finger in die Wunde

Der assistierte Suizid ist in der Schweiz kein Novum, die Gesetzgebung hierzu so liberal wie nirgends sonst in christlich geprägten Ländern. Woher kommt die grosse Aufregung um die Sarco-Kapsel seitens der Kirche und warum kommt sie jetzt?


Foto: Handout/The Last Resort

 

Magdalena Thiele

Die Rechtslage in der Schweiz ist eindeutig: Menschen, die nicht mehr leben wollen, dürfen hierzulande sterben. Dafür müssen sie nicht an einer tödlichen oder unheilbaren Krankheit leiden. Es braucht, so die hiesige Rechtslage, nicht einmal ein psychiatrisches Gutachten, das die Urteilsfähigkeit der Person mit Sterbewunsch attestiert. In der Schweiz reicht ein entsprechendes Schreiben der Hausärztin oder des Hausarztes.

Trotz der ausgesprochen liberalen Schweizer Gesetzgebung polarisiert die Suizidkapsel «Sarco» seit Monaten. Der erstmalige Einsatz Ende September führte zu einem medialen und gesellschaftlichen Aufschrei. Auch die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) bezog Position.
 

Scharfe Kritik von der SBK und aus Rom

Banalisierung und Idealisierung des Freitods urteilt die Kommission für Bioethik der SBK über den Einsatz der Suizidkapsel in ihrer Stellungnahme. Die Einfachheit des Sarco-Suizids würde ein Umfeld schaffen, in dem sich Angehörige nicht mehr trauen, «die Entscheidungen ihrer Liebsten zu hinterfragen, weil Selbstbestimmung derart an Wert gewonnen hat, dass der Versuch, jemanden von einem Suizid abzuhalten – zumal dieser auch noch legal ist -, als derbe Respektlosigkeit gilt.»

Die Haltung der römisch-katholischen Kirche zum Thema assistierter Suizid ist klar: Allein dem Schöpfer steht das Recht zu, über Leben und Tod zu entscheiden. Erst kürzlich, im Frühjahr dieses Jahres, hat der Vatikan in der Enzyklika «dignitas infinita» unterstrichen, dass das menschliche Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod einen intrinsischen Wert habe. Damit sei jede Art des assistierten Suizids unvereinbar mit der christlichen Lehre und der Menschenwürde an sich. Jede Art von Suizid sei eine Form der Euthanasie.

«Es herrscht die weit verbreitete Auffassung, dass Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid mit der Achtung der Würde des Menschen vereinbar seien. Angesichts dieser Tatsache muss mit Nachdruck bekräftigt werden, dass das Leiden nicht dazu führt, dass der kranke Mensch die ihm innewohnende und unveräußerliche Würde verliert, sondern dass es zu einer Gelegenheit werden kann, die Bande der gegenseitigen Zugehörigkeit zu stärken und sich der Kostbarkeit eines jeden Menschen für die gesamte Menschheit bewusster zu werden.»
 

 


Rom spricht sich in «dignitas infinita» alternativ für eine Kultur aus, die das würdige Sterben fördert, ohne auf assistierte Sterbehilfe zurückzugreifen. Wortwörtlich heisst es im Papstschreiben: «Sicherlich verlangt die Würde des Kranken, dass jeder die angemessenen und notwendigen Anstrengungen unternimmt, um sein Leiden durch eine angemessene palliative Pflege zu lindern und jeden therapeutischen Übereifer oder unverhältnismässige Massnahme zu vermeiden. (…) Ein solches Bemühen ist jedoch etwas ganz anderes, Unterschiedliches, ja Gegenteiliges gegenüber der Entscheidung, das eigene oder das Leben eines anderen unter der Last des Leidens zu beseitigen.»
 

Spitalseelsorgende werben für palliative Ansätze

Für Patrick Schafer, Spitalseelsorger und Co-Leiter des Pastoralraums Bern, ist diese Art der Begleitung bereits Alltag. Aber genau in diesem Alltag begegnet ihm auch die Frage nach aktiver Sterbehilfe. «Ich werde als Seelsorger oft auf das Thema Suizid angesprochen», sagt Schafer, «aber die wenigsten Menschen gehen schliesslich diesen Weg.»
 

 


Wichtig sei es, die Betroffenen ernst zu nehmen und gemeinsam mit ihnen zu ergründen, woher der Sterbewunsch kommt. «Nicht immer sind es Schmerzen, die einem Menschen die Lebenslust nehmen. Oft steht dahinter auch Angst, Einsamkeit oder die Befürchtung, eine Last für andere zu sein», erzählt der Seelsorger. Und ein weiterer Aspekt werde in der Debatte zu wenig gesehen. «Für die Angehörigen ist ein Suizid oft furchtbar und nicht nachvollziehbar. Er hinterlässt quälende offene Fragen.»

Seine Ansicht teilt auch seine Zürcher Kollegin Sabine Zgraggen, Leiterin der grössten Dienststelle der Spital- und Klinikseelsorge in der Deutschschweiz. Sie findet bezüglich «Sarco» deutliche Worte. Für Zgraggen zeigt sich in der Suizidkapsel eine «Kreativität des Grauens». Sie wünscht sich ein Umdenken. Ihre Fachstelle arbeitet aktuell an einem Leitfaden für einen anderen Umgang mit Sterbewünschen in der Seelsorge. Es brauche dafür den gesellschaftlichen und auch politischen Willen, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.
 

Die Debatte ist neu entfacht

Die Schweizer Politik und die katholische Kirche haben in der «Sarco»-Debatte einen gemeinsamen Nenner: nicht rechtskonform. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Während die katholische Kirche Suizid per se ablehnt, erlaubt ihn der Schweizer Staat unter bestimmten Voraussetzungen. Aber die Kapsel erfülle diese Voraussetzungen nicht, hatte die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider noch kurz vor Bekanntwerden des ersten Sarco-Todes klargestellt.

Baume-Schneider nannte zwei Gründe für ihr Nein zu «Sarco». Die Kapsel erfülle weder die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts, noch sei sie durch die Verwendung von Stickstoff mit den geltenden Regularien für die Verwendung von Chemikalien vereinbar. Am grundsätzlichen Schweizer Recht zur Suizidbeihilfe hat Baume-Schneider damit aber nicht gerüttelt. Dennoch: Die Debatte um die aktive Sterbehilfe in der Schweiz ist wieder angestossen. 
 

Hilfe bei Suizidgedanken

Für Kinder und Jugendliche gibt es das Telefon 147, auch per Whatsapp und E-Mail, oder unter www.147.ch.

Erwachsene können die Dargebotene Hand kontaktieren, Telefon 143. E-Mail und Chat-Kontakte finden Sie auf www.143.ch.
Die Angebote sind vertraulich und kostenlos.

Auch die Website www.reden-kann-retten.ch bietet Hilfe.