Nicolas Betticher (*1961), Dr. theol., Dr. iur. can., Theologe und Kirchenrechtler, Aushilfepriester im Dekanat Bern und Offizial des interdiözesanen kirchlichen Gerichtes. Foto: Pia Neuenschwander
Synode und Familie: Herausforderungen einer ganzen Kirche
Von Abbé Nicolas Betticher
Papst Franziskus hat Bischöfe aus der ganzen Welt zu einer zweiteiligen Synode eingeladen. Bischöfe, die im Vorfeld ihre Bistümer zum Thema der Familie befragt haben, versammeln sich, beten, beraten und entscheiden. Wie weiter mit der Familie, wie weiter mit den Familien, da die Gesellschaften auf der ganzen Welt eine rasche Veränderung der Familientypen kennen? Da ist es nicht einfach, lehramtliche Aussagen zur Familie weltgerecht zu vertreten.
Das Lehramt gibt klare Kriterien vor zur Familie, zur Ehe, zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, zur Geburtenregelung in der Ehe und in der Partnerschaft. Der Katechismus ist klar in allen Punkten.
Aber genügt dies heute? Der Papst will alle Katholiken befragen. Er will einen synodalen Weg gehen, das heisst, mit allen Gläubigen, vertreten durch ihre Bischöfe, gemeinsam auf dem Glaubensweg die richtigen Antworten finden. Aber welche?
Papst Franziskus will das Evangelium glaubwürdig anbieten. Vielleicht will der Papst moralische Wegbestimmungen etwas verlassen, um auf den Kern des Evangeliums, an die Wurzeln des Glaubens zurückzufinden. «Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.» Diesen Glaubensinhalt neu zu verkünden kann vieles wieder aufleben lassen. Anstelle sich ständig von moralischen Grundsätzen einholen zu lassen, will der Papst vielleicht ein paar Türen öffnen, um den Fokus auf das Wesentliche zu richten, nämlich den Grundsatz der Glaubensbotschaft in der heutigen globalisierten Welt neu anzubieten.
Nicht einfach. Aber möglich. Welche Türen können denn aufgemacht werden? Nehmen wir ein Beispiel: Geschiedene wiederverheiratete Menschen können nicht zur Kommunion, denn ihr Lebenszustand widerspricht der Doktrin über die Eucharistie. Stimmt und überzeugt. Aber wenn ich einem Ehepaar begegne, das nach bestem Wissen und Gewissen regelmässig zum Gottesdienst kommt und darunter leidet, nicht die Kommunion empfangen zu dürfen, dann stellt sich für mich schon die Frage nach der Barmherzigkeit, von der Christus immer wieder spricht und die er auch lebte und die heute unseren Papst so tiefgreifend berührt.
Die Doktrin und das Kirchenrecht geben klare Antworten. Diese Antworten betreffen ein Ideal. Wenn aber das Ideal weit über die pastorale Realität eines Ehepaares hinauszielt, dann entsteht eine sogenannte Gesetzeslücke. Für Einzelfälle, in denen konkret das Gesetz (Lehramt) keine spezifischen angebrachten Antworten gibt, gilt die Auslegung des «Wortes» nach dem Wissen und Gewissen des Ehepaares und des Seelsorgers. Das nennt man die Epikie. Der Seelsorger ist eingeladen dem Gewissen der Eheleute zu folgen und es auch zu respektieren. Der Seelsorger ist eben Sorger und respektiert das Gewissen der Eheleute vor Gott. Er wird somit die Eucharistie diesem Ehepaar geben, weil Gott sich schenkt, einem jeden, der ihn liebt, von ganzem Wissen und Gewissen.
Das ändert aber am Ideal nichts. Schwächt es auch nicht. Es gibt ihm sogar noch mehr Wert, eine Art Übermotivation, die eben in der Epikie einen möglichen Weg anbietet. Solche Türen könnten aufgemacht werden. Wichtig ist dabei, dass derartige Entscheidungen von einer breiten Mehrheit getragen werden, damit sie auch dem Synodalitätsprinzip entsprechen. Die Communio, die Einheit um Christus, bleibt eine der wegweisenden Bedingungen. Werden solche neuen pastoralen Wege gut kommuniziert, überzeugen sie auch, weil das Evangelium überzeugt, ganz einfach!
Abbé Nicolas Betticher