Wie kürzt man 10% in leeren Taschen? himberry/photocase.de
Teilrevision Sozialhilfe
Sparen bei den Ärmsten: Die Teilrevision des Sozialhilfegesetzes aus dem Hause Schnegg erntet harsche Kritik.
Was als Anreiz zur Integration von sozial Benachteiligten verkauft wird, erntet harsche Kritik. Die überarbeitete Stossrichtung der Teilrevision des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern aus dem Ministerium Schnegg ruft selbst die Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS) der Stadt Bern auf die Barrikaden.
Die BBS schreibt klar: «Es handelt sich um eine Sparvorlage, welche die sozial Schwächsten und insbesondere Kinder besonders hart trifft und die Bedürftigen im Kanton Bern massiv schlechter stellt als in anderen Kantonen.» Mit den Vorschlägen des Regierungsrats schere der Kanton Bern aus dem System der SKOS-Richtlinien aus, schreibt die BBS in ihrer Medienmitteilung vom 3. Januar, und: «gefährdet damit die interkantonalen Harmonisierungsbestrebungen in der Sozialhilfe. Weil die Kosten für Ernährung, Bekleidung und die lebensnotwendigen Haushaltanschaffungen in der ganzen Schweiz gleich hoch sind, kann aus Sicht der BSS sachlich nicht begründet werden, warum im Kanton Bern hierfür tiefere Ansätze als in den anderen Kantonen gelten sollen.»
Ein diesbezüglicher Bericht des Bundesrates von 2015 warnte genau vor diesem Szenario. Verabschiede sich ein Kanton von den Harmonisierungsbestrebungen, fördere das den interkantonalen Sozialtourismus. Auch Caritas Bern zeigt sich in einer Mitteilung vom 3. Januar besorgt: «Der Grundbedarf in der Sozialhilfe ist eine Bedarfsleistung. Dieser wird von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) wissenschaftlich abgestützt und mit den Kantonen und Gemeinden festgelegt. Der Grundbedarf beträgt 986 Franken pro Monat für einen Ein-Personen-Haushalt, im Kanton Bern liegt der aktuell geltende Ansatz noch etwas tiefer. Mit Ausnahme der Wohn- und Gesundheitskosten müssen Sozialhilfebeziehende von diesem Betrag ihren täglichen Lebensunterhalt finanzieren. Nun will die Kantonsregierung den Grundbedarf kollektiv um 10 Prozent kürzen. Dadurch würde sich die finanzielle Situation der Sozialhilfebeziehenden im Kanton Bern deutlich verschärfen.»
Zudem macht Caritas Bern auf den eigentlichen «Bschiss» in der Kostenverteilung aufmerksam: «Die Reduktion des Grundbedarfs in der Sozialhilfe mag zu einem kurzfristigen Spareffekt beim Kanton führen. Langfristig untergräbt ein solches Vorgehen das System der sozialen Sicherheit und führt lediglich zu einer Kostenverschiebung vom Staat zur privaten Wohltätigkeit, wie sie von Kirchen oder Hilfswerken geleistet wird. Diese Verlagerung ist stossend und widerspricht demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien.» Damit bestätigt Caritas Bern das von den kirchlichen Sozialdiensten kritisierte Vorgehen des Kantons vollumfänglich (siehe «pfarrblatt» 49/2016).
Die vorgeschobenen Argumente des Kantons, es handle sich bei der Teilrevision um Anreize zur Arbeitsintegration, entlarvt Caritas klar: «Die Kantonsregierung blendet mit ihren Vorgaben die strukturellen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt aus. Dieser bietet zu wenig Stellen für Niedrigqualifizierte. Auch bei einem tieferen Grundbedarf werden viele Sozialhilfebeziehende trotz aller Bemühungen keine Stelle finden. In den Genuss erhöhter Integrationszulagen und Einkommensfreibeiträge dürften also nur wenige kommen, während mit dem neuen System sehr viele Sozialhilfebeziehende von Kürzungen betroffen wären und für den täglichen Bedarf deutlich weniger Geld zur Verfügung hätten.»
Jürg Meienberg