Wie kürzt man 10% in leeren Taschen? himberry/photocase.de

Teilrevision Sozialhilfe

11.01.2017

Sparen bei den Ärmsten: Die Teilrevision des Sozialhilfegesetzes aus dem Hause Schnegg erntet harsche Kritik.

Was als Anreiz zur Integration von sozial Benachteilig­ten verkauft wird, erntet harsche Kritik. Die überarbeitete Stossrichtung der Teilrevision des Sozialhilfe­gesetzes des Kantons Bern aus dem Ministerium Schnegg ruft selbst die Direktion für Bildung, Sozia­les und Sport (BSS) der Stadt Bern auf die Barrikaden.


Die BBS schreibt klar: «Es handelt sich um eine Sparvor­lage, welche die sozial Schwächsten und insbeson­dere Kinder besonders hart trifft und die Bedürftigen im Kanton Bern massiv schlech­ter stellt als in anderen Kanto­nen.» Mit den Vorschlägen des Regierungsrats schere der Kanton Bern aus dem System der SKOS-Richtlinien aus, schreibt die BBS in ihrer Medienmitteilung vom 3. Ja­nuar, und: «gefährdet damit die interkantonalen Harmoni­sierungsbestrebungen in der Sozialhilfe. Weil die Kosten für Ernährung, Bekleidung und die lebensnotwendigen Haushaltanschaffungen in der ganzen Schweiz gleich hoch sind, kann aus Sicht der BSS sachlich nicht begründet werden, warum im Kanton Bern hierfür tiefere Ansätze als in den anderen Kantonen gelten sollen.»

Ein diesbe­züglicher Bericht des Bun­desrates von 2015 warnte ge­nau vor diesem Szenario. Ver­abschiede sich ein Kanton von den Harmonisierungsbe­strebungen, fördere das den interkantonalen Sozialtouris­mus. Auch Caritas Bern zeigt sich in einer Mitteilung vom 3. Januar besorgt: «Der Grundbedarf in der Sozialhil­fe ist eine Bedarfsleistung. Dieser wird von der Schwei­zerischen Konferenz für Sozi­alhilfe (SKOS) wissenschaft­lich abgestützt und mit den Kantonen und Gemeinden festgelegt. Der Grundbedarf beträgt 986 Franken pro Mo­nat für einen Ein-Perso­nen-Haushalt, im Kanton Bern liegt der aktuell gelten­de Ansatz noch etwas tiefer. Mit Ausnahme der Wohn- und Gesundheitskosten müs­sen Sozialhilfebeziehende von diesem Betrag ihren täg­lichen Lebensunterhalt finan­zieren. Nun will die Kantons­regierung den Grundbedarf kollektiv um 10 Prozent kür­zen. Dadurch würde sich die finanzielle Situation der Sozi­alhilfebeziehenden im Kan­ton Bern deutlich verschär­fen.»
Zudem macht Caritas Bern auf den eigentlichen «Bschiss» in der Kostenvertei­lung aufmerksam: «Die Re­duktion des Grundbedarfs in der Sozialhilfe mag zu einem kurzfristigen Spareffekt beim Kanton führen. Langfristig untergräbt ein solches Vorge­hen das System der sozialen Sicherheit und führt lediglich zu einer Kostenverschiebung vom Staat zur privaten Wohl­tätigkeit, wie sie von Kirchen oder Hilfswerken geleistet wird. Diese Verlagerung ist stossend und widerspricht demokratischen und rechts­staatlichen Prinzipien.» Damit bestätigt Caritas Bern das von den kirchlichen Sozial­diensten kritisierte Vorgehen des Kantons vollumfänglich (siehe «pfarrblatt» 49/2016).

Die vorgeschobenen Argu­mente des Kantons, es hand­le sich bei der Teilrevision um Anreize zur Arbeitsintegrati­on, entlarvt Caritas klar: «Die Kantonsregierung blendet mit ihren Vorgaben die struk­turellen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt aus. Die­ser bietet zu wenig Stellen für Niedrigqualifizierte. Auch bei einem tieferen Grundbedarf werden viele Sozialhilfebezie­hende trotz aller Bemühun­gen keine Stelle finden. In den Genuss erhöhter Integra­tionszulagen und Einkom­mensfreibeiträge dürften also nur wenige kommen, während mit dem neuen Sys­tem sehr viele Sozialhilfebe­ziehende von Kürzungen be­troffen wären und für den täglichen Bedarf deutlich we­niger Geld zur Verfügung hätten.»

Jürg Meienberg