Zwei Theatergottesdienste fragen nach Gott angesichts des Leids. Foto: zVg

Theatergottesdienste zu «Hiob»

18.11.2015

Wieso lässt Gott das Leid zu?

Das Schauspiel von Konzert Theater Bern führt derzeit Joseph Roths «Hiob» auf. In zwei Theatergottesdiensten werden Szenen aus dem Stück gespielt und der Dialog mit dem biblischen Hiob gesucht.

Menschen leiden und fragen nach Gott angesichts des Leids. Besonders schwer wiegt diese Frage bei unverschuldetemLeid: bei einem Kind, das stirbt, bei einem Tsunami, einem Erdbeben, dem Einschlag eines Meteoriten… Kann man angesichts solchen Leids an einen guten Gott glauben?

Bewährung

Diese Frage wird in der Bibel anhand der Figur des Hiob diskutiert. Hiob wird zunächst als aussergewöhnlicher Mensch gezeichnet, der die Schicksalsschläge – selbst den Verlust seiner Kinder – stoisch erträgt: «GOTT hat gegeben, GOTT hat genommen, gelobt sei der Name GOTTES» (Hiob 1,21). Es gibt, so die Aussage, Menschen, die trotz und in schwerstemLeidam Gottesglauben festhalten können. Doch dann kommen Hiobs Freunde, die das Leid erklären wollen. Sie referieren alle Erklärungsversuche, wie sie damals anzutreffen waren – und manchmal heute noch sind: Leid gehöre nun halt mal zum Leben. Wer Gutes tue, dem gehe es auch gut; wer jedoch schlecht handle, der werde Schlechtes erfahren. Leid sei eine Prüfung oder eine Erziehungsmassnahme Gottes usw.

Rebellion

Doch im Hiobbuch werden diese «Antworten» zurückgewiesen. Sie sind zu billig und erklären unverschuldetes Leid in keiner Weise. Hiob selbst lehnt sich dagegen auf: Er wendet sich mit tiefster Klage an Gott, er verflucht sein Leid und sein Leben (Hiob 3). Er klagt sogar Gott selbst an und weigert sich, die Haltung eines gottergebenen Dulders einzunehmen (Hiob 9,14–35). Erstaunlich ist, dass im Hiobbuch solcher Rebellion gegen das Leid Recht gegeben wird (Hiob 42,7–10). Verlangt wird einzig, dass sich Hiob nicht selbst als allwissend ausgibt, auch seine Erkenntnis ist beschränkt. Aber eine Antwort auf unverschuldetes Leid oder eine Entschuldigung Gottes angesichts dessen gibt es schlicht nicht.

Zuspitzung bei Joseph Roth

Bei Joseph Roth ist Hiob – ein jüdischer Lehrer namens Mendel Singer – «gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude … Unbedeutend wie sein Wesen war sein blasses Gesicht.» Jeder Mensch wird bei Roth zum Hiob. Auch seine Frau Deborah, die zwar auf Gott vertraut, doch zugleich die menschliche Verantwortung betont: «Der Mensch muss sich zu helfen suchen, und Gott wird ihm helfen.» Im Laufe der genialen Erzählung Roths zerbrechen die Strategien und Sicherheiten Mendels und Deborahs. Weder das Gottvertrauen noch das menschliche Tun können sie vor unsäglichem Leid retten. Implizit wird die Frage aufgeworfen, warum irgendetwas im Menschen selbst so viel Leid verursacht. Warum ist der Mensch so und nicht ganz anders?

Frage nach dem Gottesbild

Auch die Frage nach Gott stellt sich heute noch verschärft: Die Evolution lässt keinen Raum mehr für den Gedanken, dass es «am Anfang» einmal besser oder gar «gut» gewesen sei. Vielmehr drängt sich die Frage auf: Warumist der Evolutionsprozess geprägt von einem steten Fressen und Gefressenwerden? Wäre es nicht anders möglich, wenn es einen guten Gott gibt? Damit verbunden ist die Frage, wie Gott – wenn überhaupt – in unserer Welt wirkt. Zu biblischer Zeit konnte man durchaus mit einer direkten Einflussnahme von ausserhalb unserer Welt rechnen: Blitze, Erdbeben, Überschwemmungen wurden im Alten Orient oft auf eine Gottheit zurückgeführt. Doch mit zunehmender Erforschung des Universums lässt sich eine direkte Einwirkung Gottes von irgendwo ausserhalb her wohl kaum mehr denken. Woher denn auch? Etwa von der 3 Mio. Lichtjahre entfernten Andromedagalaxie her? Und zudem: Was wäre das denn für ein Gott, der z.B. den Zweiten Weltkrieg von aussen hätte verhindern können und es nicht getan hätte?

Von innen – sympathisch

Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bedeuten nicht das Ende des Gottesglaubens: Schon in biblischer Zeit wurde Gottes Wirken als Wirken eines «Geistes» (ruach) geschildert: als Geist Gottes, der nicht sichtbar ist, nicht von ausserhalb her wirkt, sondern hier und jetzt Leben schafft (Psalm 104,30). Als Geist Gottes, der im Menschen wohnt und Frau und Mann die gleiche unveräusserliche Würde verleiht (Römerbrief 8,15–16). Als Geist Gottes, der Kraft zumWiderstand gegen jede Ungerechtigkeit gibt und Frieden schafft. Und es wird biblisch noch und noch darauf vertraut, dass Gott sympathisch ist, ganz und gar solidarisch mit dem konkreten Menschen im Leid. Es ist ein Glaube – das heisst: ein Vertrauen –, mehr nicht, aber auch nicht weniger.

André Flury

Theatergottesdienste 5. Dezember, 20.00: Dreifaltigkeitskirche Bern 6. Dezember, 09.30: Marienkirche Bern

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