Joël von Moos hat die «Totämäss» komponoiert. Foto: Maximilian Lederer
«Totämäss»
Das erste schweizerdeutsche Requiem in der Musikgeschichte
Der Komponist Joël von Moos (31) ist Komponist und Librettist. Er überrascht mit seiner «Totämäss». «Mit meinem Werk in Schweizerdeutsch will ich den Menschen die wunderbaren Botschaften des Requiems näher bringen», sagt von Moos. Er versucht «mithilfe einer tröstlichen Musik und hoffnungsvollen Texten, dem Publikum die Beschäftigung mit der eigenen Vergänglichkeit zu erleichtern.» Die Uraufführung ist am 1. November in Luzern.
von Barbara Ludwig/kath.ch
Mit Ihrer «Totämäss» gibt es erstmals in der Musikgeschichte ein Requiem in schweizerdeutscher Sprache. Warum Mundart und nicht das sonst für dieses Musikgenre übliche Latein?
Joël von Moos*: Bei vielen Requiem-Vertonungen ist die Musik wunderschön. Alle können das hören und wahrnehmen. Zugang zum Text haben jedoch nur theologisch oder kirchenmusikalisch geschulte Menschen oder Musizierende, die sich mit dem Werk auseinandersetzen. Niemand hat Latein als Muttersprache. Die tote Sprache schafft eine Distanz. Mit meinem Werk in Schweizerdeutsch will ich den Menschen die wunderbaren Botschaften des Requiems näher bringen. Etwa das Motiv des Ewigen Lichtes oder der Ewigen Ruhe.
Welche Textvorlage haben Sie verwendet?
Ich habe mir die lateinischen Texte meiner Lieblingsrequiems angeschaut. Und dann davon ausgehend eine Totenmesse mit eigener Struktur geschaffen. Darum handelt es sich bei meinem Werk um eine grosse Fassung eines Requiems. Insgesamt sind es 18 Sätze. Die Texte des dritten Teils – der Sequenz – habe ich selber gedichtet. In diesen Liedtexten beschäftige ich mich mit dem Tod, dem Sterben und der eigenen Vergänglichkeit.
Sie haben also komponiert und gedichtet. Wer hat die lateinischen Texte übersetzt?
Ich habe selber den lateinischen Urtext ins Schweizerdeutsche übersetzt und mit diesen Texten gearbeitet. Manchmal habe ich ganze Passagen komplett ausgetauscht. Mein Requiem ist nicht einfach eine Übersetzung, sondern eine Interpretation des Urtextes. Für das Libretto habe ich fast mehr Zeit aufgewendet als für die Musik. Denn bei meinen Projekten investiere ich immer sehr viel Zeit in die Recherche, in die Dramaturgie und in die Texte. Die Kombination von Text und Musik muss für mich stimmen, damit ich mit einem Werk zufrieden bin.
Können Sie gut Lateinisch?
Gut wäre übertrieben. Ich hatte vier Jahre lang Lateinunterricht in der Schule. Es war eines meiner Lieblingsfächer, obwohl ich nicht so gute Noten hatte (lacht).
Typisch sei bei Ihnen, dass Sie klassische und volkstümliche Elemente vereinen. Wie kam es dazu?
Ich habe in der Luzerner Kantorei als Chorsänger angefangen. Dabei habe ich Opern und kirchenmusikalische Werke aus ganz verschiedenen Epochen kennengelernt. So habe ich eine klassische Ausbildung genossen. In der Volksmusik fasziniert mich vor allem das Jodeln. Jodeln ist etwas Archaisches, es hat eine Urkraft. Wenn ich komponiere, kann ich mich bei beiden Musikwelten bedienen.
In Ihrer «Totämäss» kommt auch beides vor.
Der Chor singt mehrheitlich klassisch. Das Solistenensemble ist mehrheitlich volkstümlich unterwegs, wir haben nämlich Solojodlerinnen und Solojodler dabei. Gleichzeitig kommt es zu einem Dialog zwischen Jodel und Klassik: Zwischendurch singt der Chor auch mal ein Jodellied oder die Solisten singen klassische Passagen.
Sie setzen Totäglöggli, Geissenschellen und Treicheln ein.
Neben dem gemischten Chor, den Solistinnen und Solisten, der Kirchenorgel und dem Akkordeon setzen wir in der Tat unterschiedliche Glocken ein. Der ganze Raum wird mit den heimatlichen Klängen der Glocken bespielt. Sie stehen für das sakrale Element und sollen Trost spenden. Zum Beispiel dann, wenn jemand stirbt.
Es wird also auch gestorben in Ihrem Requiem? Ich habe gelesen, dass Sie den Tod auf der Bühne auftreten lassen.
Ja. Das ist eine szenische Komponente des Werks. Der Tod trägt ein schwarzes Kostüm und tritt als Sensenmann auf. Er wird sich auch ins Publikum setzen. Das bedeutet: Der Tod ist mitten unter uns. Von Krippenspielen oder diversen Singspielen kennen wir, dass Figuren auftreten, damit sich die Menschen die Geschichte noch besser vorstellen können. Mit der Figur des Todes haben wir uns als Produktionsteam in den Bereich einer halbszenischen Aufführung gewagt. Für den Knochenmann, wie er bei uns heisst, haben wir auch ein neues Instrument geschaffen: ein Kettenbrett. Normalerweise klopft der Tod an die Tür, wenn es ans Sterben geht. In meinem Requiem schlägt er mit einer Kette an eine aufgestellte Holzwand, was einen knöchernen Ton erzeugt.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie sich mit dem Tod auseinandergesetzt haben. Wie haben Sie das gemacht?
Eigentlich läuft es immer gleich ab, egal, an welchem Projekt ich arbeite. Als Künstler lasse ich mich aktiv und passiv durch die Umgebung inspirieren, oft in der Natur. Aber es braucht auch ein Abtauchen. Das Requiem habe ich auch für meinen Grossvater geschrieben, der 2021 gestorben ist. Ich habe mich mehrmals zwei, drei Wochen lang in sein Elternhaus zurückgezogen und mich dort komplett von der Aussenwelt abgesondert, um meine Gedanken zu Papier zu bringen und zu strukturieren.
Hat der Tod Ihres Grossvaters den Ausschlag gegeben für dieses Werk?
Nein. Das Werk ist nicht nur ihm gewidmet, sondern auch meiner Grossmutter, die noch lebt. Sie beide haben mich zur «Totämäss» inspiriert. Ich bin in einem Mehrgenerationenhaushalt aufgewachsen und habe viel von ihrer Lebensweisheit mitbekommen. Davon ist einiges ins Requiem eingeflossen.
Zum Beispiel?
Etwa ihre versöhnliche Haltung gegenüber dem Leben, aber auch gegenüber dem Tod. In unserer Familie wurde der Tod immer als etwas ganz Natürliches behandelt. Diese Einstellung hat auch mich geprägt.
Stichwort Mehrgenerationenhaushalt: Kommen Sie aus einer Bauernfamilie?
Nein. Tatsächlich komme ich aus einer Lehrerfamilie. Mein Grossvater war ausserdem in Latein und Altgriechisch bewandert. Von ihm habe ich vielleicht auch den Hang zu alten Sprachen und zur Geschichte geerbt.
2017 haben Sie eine Kantate Dorothea zu Ehren von Niklaus von Flüe komponiert. Mit dem Requiem gibt es nun ein zweites Werk mit religiösem Bezug. Wie haben Sie selbst es mit dem Glauben und der Religion?
Ich bin sehr interessiert an Glaubensfragen, an Philosophie und an Mystik. Ich setze mich auch mit theologischen Fragen auseinander, bin aber eher selten im Gottesdienst anzutreffen.
Gehen Sie dafür lieber in den Ranft zu Bruder Klaus oder auch das nicht?
Doch schon (lacht). Ich habe das Gefühl, dass ich unter freiem Himmel fast die bessere Connection habe als in einer Kirche.
Connection zu was oder zu wem?
Zu Gott oder zu dem, was wir Gott nennen. Zu einer höheren Macht.
Was möchten Sie den Besucherinnen und Besuchern Ihrer Totenmesse mit auf den Weg geben?
Der Tod wird in meinem Requiem aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Ich glaube, es hat für alle etwas dabei, das sie mitnehmen können für ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod und der eigenen Vergänglichkeit. Nach einer langen stillen Schaffensphase freue ich mich jetzt sehr auf die Aufführungen und bin gespannt auf die Reaktionen des Publikums.
*Joël von Moos (33) ist Komponist, Librettist, Instrumentalist und Produzent. Er stammt aus Sachseln im Kanton Obwalden.
«Kleines Requiem» für Kirchenchöre
Mit seiner «Totämäss» hat Joël von Moos ein abendfüllendes Werk komponiert. Die Aufführung dauert 90 Minuten. Doch er hat aus Elementen des Monumentalwerkes auch ein «Kleines Requiem» komponiert, verrät Joël von Moos. Ein Werk in fünf Sätzen für gemischten Chor, Solosopran, Solotenor, Orgel und Gemeinde. Das «Kleine Requiem» dauert rund 20 Minuten. Es eignet sich für Eucharistiefeiern und Wortgottesdienste mit Abschied und Trauer. Es besteht aus Sätzen der «Totämäss» in leicht abgeänderter und für den liturgischen Gebrauch angepasster Form. (bal)
Die Uraufführung findet am 1. November in Luzern statt (bereits ausgebucht.) www.totämäss.ch
Weitere Aufführungen
am 3. November im Berner Münster, am 4. November in der Kirche St. Laurentius in Giswil OW sowie am 5. November in der Jugendkirche in Einsiedeln SZ.