Amira aus Äthiopien: «Mein eigenes Kind wieder in den Händen zu halten.» Foto: C. Brun

Träume im Nahen Osten

08.06.2016

Welche Hoffnungen und Träume haben kriegstraumatisierte Flüchtlinge? Die Schweizer Fotojournalistin Christina berichtet aus dem Libanon.

Die Schweizer Fotojournalistin Christina Brun arbeitet im Libanon mit kriegstraumatisierten Flüchtlingen. Im Land leben rund eine Million Flüchtlinge, 78 Prozent davon sind Frauen und Kinder. Sie alle stehen vor speziellen Herausforderungen, sie alle haben Wünsche und vor allem Träume.

Von Christina Brun, Distrikt Zahle, Libanon


Was bedeutet es, zu träumen? Wie oft beschäftigen wir uns mit ihnen? Wir alle tun es und besitzen sie. Ich spreche nicht etwa von jenen Träumen, die uns durch den Schlaf begleiten, ich rede von jenen, die uns am Morgen helfen, aufzustehen. Jene Träume, die unseren Kampfgeist wecken und uns Hoffnung schenken.
Einige von uns gehen offen mit ihren Träumen durchs Leben, andere verstauen sie in einer Ecke. Wir haben Träume und Ziele für den Tag, für die Woche und das ganze Leben. Wir träumen für uns, unsere Familien, verschiedene Gruppen und für die Welt. Das Träumen hilft, um nicht stehen zu bleiben und vorwärts zu gehen. Gemeinsam wachsen wir mit ihnen. Neue Interessen, neue Menschen und Fähigkeiten beeinflussen sie. Sie machen uns einzigartig und bringen uns wieder zusammen.

Ein Traum besitzt die Macht der Fantasie und der Grenzenlosigkeit. Wir träumen in schönen Momenten und der absoluten Dunkelheit. Das Träumen von einer besseren Welt, der Rückkehr in die alte Heimat oder das Träumen vom nächsten Morgen. Das Träumen vom Leben, das war, oder vom Leben, das sein könnte. Wenn wir uns intensiv mit ihnen beschäftigen, stellen wir fest, was sie mit uns gemacht haben. Wohin sie uns gebracht haben. Mich brachten sie in den Nahen Osten – in den Libanon.
Ein Land mit tausend Gesichtern, 18 verschiedenen Religionen und Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt. Ein Leben mit- und nebeneinander. Die Kriege, der Hass und die Korruption, welche die Menschen fest im Griff halten. Der Libanon mit zirka 1,5 Millionen Syrern neben vier Millionen Libanesen. Gibt es hier noch Träume? Darf eine Frau offen über ihre Ziele sprechen? Ist es ein Traum aus 1001 Nacht? Oder das Warten aufs bittere Ende?

Ich forderte junge syrische und libanesische Frauen in der Bekaa-Ebene im Libanon dazu auf, sich intensiv mit ihren Träumen zu beschäftigen. Zusätzlich gingen sie auf die Strasse und befragten Menschen in ihrem Umfeld über ihre Träume und Wünsche. Lamis etwa, eine junge Mutter aus Syrien, sagt: «Das Träumen ist etwas nur für dich persönlich. Wir kämpfen dafür und versuchen sie zu erreichen, doch die kulturellen Normen holen dich so schnell wieder ein.» Lamis will zurück nach Syrien, ihre verstreute Familie vereinen und hart für ihre Kinder arbeiten. Nawja ist geschieden. Die Situation für sie als arabische Frau ist nicht einfach. Sie träumt davon, das Sorgerecht für ihre Kinder zu erhalten: «Wir sind umgeben von Problemen. Wir kämpfen für die Freiheit, dies ist unser Traum – frei zu sein und endlich die Chance zu erhalten, uns selbst zu beweisen.»
Die junge Sabrine träumt davon, Autorin zu werden. Ein schwieriges Unterfangen, zumal sie kaum ernst genommen wird: «Du kannst über deine Träume sprechen, doch so oft wird man missverstanden und nur selten erhältst du Unterstützung von deiner Familie.» Zeinab hat Unvorstellbares erlebt. Gewalt, Einschüchterung – Dinge, die sie nicht aussprechen will. Sie träumt davon, ihren Mann dafür zur Rechenschaft zu ziehen und hinter Gitter zu bringen: «Es ist so hart, und möchte man wirklich erfolgreich sein, noch viel härter. Doch wir wollen jetzt noch nicht aufgeben.» Wir bewegen uns ständig – wir dürfen jeden Tag Neues sehen und lernen. Das Träumen hilft uns dabei, Ziele zu verwirklichen und für sein Leben zu arbeiten. Wovon träumen Sie?

 

Christina Brun arbeitet für die deutsche Hilfsorganisation «Amica» in einem freiwilligen Projekt im Libanon. Diese arbeitet zusammen mit der politisch, konfessionell und religiös unabhängigen, libanesischen Frauen-NGO «Kafa» in einem «Safe Space», der von der UNO mitfinanziert wird. Hier werden durch Beratungen und Traumaaufarbeitung Frauen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und stabilisiert.
www.christinabrun.com