Broken glass

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Transformationen

23.01.2025

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge


Als ich ein Kind war, gab es hinter unserem Haus einen sanften Hügel, auf dem sich, sobald der erste Schnee gefallen war, das ganze Quartier versammelte – ausgerüstet mit Ski und Schlitten. Eine übermütige, fröhliche Gruppe fand sich dort jedes Jahr ein, trotz vieler Arm- und Beinbrüche im Laufe der Jahre. Später musste der Hügel einer breiten Strasse weichen. Bei den Bauarbeiten stellte sich heraus, dass es sich bei dieser Erhebung um eine Grabstätte der Bevölkerung Helvetiens handelte, die in vorchristlicher Zeit die Gegend bewohnte.

Die Archäolog:innen waren begeistert, denn die Gräber waren mit wertvollen Beigaben versehen: Bronzefibeln, kunstvolle Glasringe, Schmuck aus Edelmetallen, Ketten und Speerspitzen wurden den Verstorbenen mit auf den Weg ins Jenseits gegeben. Historiker:innen vermuten, dass diese wertvollen Grabbeigaben den Glauben widerspiegeln, dass die Verstorbenen weiterhin einen wichtigen Einfluss auf die Gemeinschaft ausüben. Die Ahnen blieben als spirituelle Wesen im Leben der Nachkommen präsent.

Zweieinhalb Jahrtausende später ist es technisch möglich geworden, mit künstlicher Intelligenz eine digitale Imagination dieser Präsenz zu simulieren. Die «modernen» Grabbeigaben bestehen nun aus Unmengen an digitalen Daten – Fotos, Videos, Sprachnachrichten und Texte der verstorbenen Person –, mit denen eine künstliche Intelligenz «gefüttert» wird. Aus diesen Daten erschafft die KI einen virtuellen Klon, der so sprechen oder schreiben soll wie die verstorbene Person.

Das Unternehmen «You, only virtual» beispielsweise bietet an, eine sogenannte «Versona» einer geliebten Person zu erschaffen, und ermöglicht es so, auch nach dem Tod mit einem verstorbenen Menschen in Kontakt zu bleiben. Natürlich handelt es sich dabei nicht um einen echten Kontakt, sondern eher um das Gefühl, als würden wir auf einem hinterlassenen Datenberg das Skifahren üben. Da kann ich nur wünschen: Hals- und Beinbruch!

Marianne Kramer, Seelsorgerin im Inselspital

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