Trotzdem

24.02.2011

Patrick Schafer

Ich bin müde vom Rufen, meine Kehle ist heiser, mir versagen die Augen. (...) Gott, du kennst meine Torheit, meine Verfehlungen sind dir nicht verborgen. (...) Ich aber bete zu dir, Herr, zur Zeit der Gnade. Erhöre mich in deiner grossen Huld, Gott, hilf mir in deiner Treue! (...) Denn der Herr hört auf die Armen, er verachtet die Gefangenen nicht.
(Psalm 69)

Vor Jahren hat mir eine alte Frau gesagt, dass jeder Mensch einen eigenen Psalm haben sollte. «Einen vertrauten Text, der einen immer begleitet». Dies war mir zu dieser Zeit ziemlich fremd. Trotzdem begann ich die unterschiedlichsten Psalmen zu lesen und mit ihr zu besprechen. Meist, gar nicht historisch-theologisch reflektiert, sondern einfach ganz nach den unterschiedlichsten Lebenslagen und Lebensstimmungen. Heute mag ich die über dreitausend Jahre alten Gebete, Lieder und Gedichte sehr.
Der Klagende beschreibt im Psalm 69 all seinen Schmerz, seine Angst. Mit diesen menschlichen Abgründen konfrontiert, wendet sich der Erzähler aber nicht ab oder verbittert – verliert sich nicht in passivem Ausharren. Er wendet sich hoffnungsvoll an seinen Gott. Dadurch zeigt sich ein Gottesbild, das mir sehr gut gefällt. Das Handeln in diesem Psalm könnte durch ein «Trotzdem» umschrieben werden. Ich rufe, auch wenn ich müde bin. Ich wende mich an dich, auch wenn ich Fehler mache. Ich darf dich immer anrufen, auch wenn es nur in der Not ist. Ich weiss, du wendest dich nicht ab, auch wenn alle anderen mich ausgrenzen.
Ein solches «Trotzdem» will ich mir bewahren, will versuchen es durch meine Gedanken und mein Handeln immer wieder neu zu leben.