Trotzdem Hoffnung
Die Menschen in den vom Bürgerkrieg zerstörten Städten Syriens kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Nawras Sammour kennt ihre Not aus erster Hand. Der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) in Syrien berichtet von einem Land, das in Trümmern liegt. Dennoch spricht er von Hoffnung.
«Die Situation für die Menschen in Syrien wird immer schwieriger», erzählt Nawras Sammour, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) in Syrien. In den belagerte Gebieten sei es besonders schlimm. Auch in den Städten wie Aleppo oder Damaskus spitze sich die Lage zu. «Die Menschen in Syrien sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Sie versuchen, das Leben so gut es geht zu meistern.» Der Jesuit besuchte im Dezember 2015 die Schweiz, um aus erster Hand von seiner Arbeit in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land zu berichten. Ruhig erzählt er von einem Leben, das jederzeit vielerlei Gefahren ausgesetzt ist. «Die Zivilbevölkerung lebt in ständiger Furcht vor Luftschlägen und Mörserangriffen. Es kann jeden, jederzeit und überall treffen.» Im Moment stehe das schlichte Überleben im Vordergrund. Der Bürgerkriegsalltag verlange allen grosse Anstrengungen ab. «Es braucht viel Kraft, die grundlegendsten Dinge zu erledigen.» Viele Schulen seien durch Luftangriffe beschädigt.
Ohne Strom und Wasser
Zu den grössten Problemen zählt Nawras Sammour die mangelhafte Strom- und Wasserversorgung. In Damaskus gebe es am Tag nur gerade acht Stunden Strom. In Aleppo falle die Elektrizität manchmal bis zu sieben Wochen lang ganz aus. In Damaskus fliesse das Wasser wenigstens alle drei Tage für ein paar Stunden. Trotzdem müssten die Menschen Trinkwasser dazukaufen, was sehr teuer sei. Hinzu kämen alle anderen Ausgaben des täglichen Lebens. Die Entwertung des syrischen Pfunds habe dazu geführt, dass die Leute, die überhaupt noch eine Stelle haben, viel weniger verdienten. Gerade wenn die Verkehrswege wegen Kämpfen von der Aussenwelt abgeschnitten seien, stiegen die Lebensmittelpreise um ein Vielfaches. «Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben 75 Prozent aller Syrerinnen und Syrer unter der Armutsgrenze. Ihr Anteil wird weiter zunehmen.»
Christen leisten Überdurchschnittliches
Hilfe kommt von verschiedenen Hilfsorganisationen, darunter der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, den Nawras Sammour leitet. «Wir organisieren Unterkünfte für Flüchtlinge, leisten medizinische Hilfe, unterrichten die meist traumatisierten Kinder in provisorischen Schulen und verteilen Essensrationen. Momentan versorgen wir rund 20000 Familien. Allein in Aleppo bereiten wir in einer Feldküche täglich warme Mahlzeiten für rund 9500 Menschen zu, in Damaskus sind es 5500 Mahlzeiten pro Tag.» In Syrien leben noch fünf Prozent Christen. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sei ihr Beitrag zur Nothilfe um einiges grösser. «Das ist gut so», sagt Pater Nawras. «Wir dürfen glücklich sein, denen zu helfen, die in Not sind.» Dennoch sollten sich die syrischen Christen nicht auf die Nothilfe beschränken, sondern müssten gerade in dieser Krise über ihre Identität als arabische Christen nachdenken. «Das ist für mich schlussendlich eine spirituelle Frage. Der Glaube ist die Grundlage unserer Tätigkeit. Er gibt uns die Kraft und den Sinn, hier weiter zu wirken.» Auf die Frage nach seiner Hoffnung verweist Nawras Sammour auf die Arbeit zugunsten von Kindern. «Im Vordergrund steht ihre Erziehung in einer sehr grundlegenden Weise. Erziehung in Syrien heute heisst Hoffnung geben und Werte vermitteln. In den Kindern sehe ich die Zukunft. Sie sind meine Hoffnung.»
Urban Schwegler, Redaktor «Pfarreiblatt» Luzern
Nawras Sammour – Persönlich
us. Der Syrer Nawras Sammour (47, siehe Haupttext) gehört dem Jesuitenorden an. Seit 2010 ist der Theologe und ausgebildete Zahnarzt Regionaldirektor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) für den Mittleren Osten mit Sitz in Damaskus. Von dort aus koordiniert er den Einsatz zahlreicher lokaler Helferteams, in denen sich Freiwillige aus unterschiedlichen Volksgruppen und Glaubensgemeinschaften um Zehntausende Bürgerkriegsopfer und Flüchtlinge kümmern. 2014 erhielt Nawras Sammour den Prix Caritas.
Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) ist als internationale Hilfsorganisation heute mit etwa 1200 Mitarbeitern weltweit in über 50 Ländern vertreten. Der Jesuitenorden gründete den JRS 1980 angesichts des Elends der vietnamesischen Bootsflüchtlinge. Der JRS begleitet und unterstützt Flüchtlinge und Migranten und tritt für ihre Rechte ein.
www.jrsschweiz.ch