Verena Leo (www.verenaleo.com)
Tür-Erlebnisse
«Carte blanche» für Antonie Aebersold-Stängl
Wenn ich unterwegs oder auf Reisen bin, fallen mir in besonderer Weise die Türen der Häuser und die Tore der Gehöfte auf, ihre Formen, ihre Farben, ihr Erscheinen als Eingang. Türen haben für mich etwas Faszinierendes an sich, die alten historischen wie die modernen neuen, die schönen wie die verlotterten. Sie lassen mich gleichsam das Wohnungnehmen des Menschen in Welt und Geschichte empfi nden und nach den Geschichten der Menschen fragen, die ein- und ausgehen.
Türen haben ihre Bedeutung ja nicht nur rein praktisch als Eingang, sondern ich steh’ freudig, erwartungsvoll vor der Türe oder bedrückt, zaghaft; im Türbogen kommt mir Wärme, Gastfreundschaft oder Kühle, Skepsis, Leere entgegen.
Darüber hinaus ist die Türe ein sehr reichhaltiges Symbol und steht für Übergänge – persönlich, berufl ich, schicksalhaft –, für Übergänge in der Lebensgeschichte bis hin zur Tür am Ende unseres Erdendaseins. Jedenfalls ist die Türe der Ort, an dem wir etwas hinter uns lassen oder lassen müssen und auf etwas Neues zugehen, die Türe, die wir durchschreiten, durch die wir uns klein machen müssen, hindurchtasten, vielleicht auch springen.
Jesus bezeichnet sich in den sieben «Ich-bin- Worten», die uns im Johannesevangelium überliefert sind, mit Lebenssymbolen wie zum Beispiel: Ich bin der Weinstock, das Brot des Lebens, der gute Hirte, die Tür. Die «Ich-bin- Worte» Jesu verstehe ich mehr und mehr als sein Vermächtnis für all die Generationen, die ihn als den Auferstandenen erfahren, als Bildworte, die zu seiner geistig-leiblichen Gegenwart hinführen. Sie laden ein, ins Geheimnis einzutreten, dass er, der damals auf den Strassen von Galiläa den Menschen heilsam und befreiend begegnete, als der Auferstandene derselbe ist, jedoch in neuen Dimensionen gegenwärtig, nämlich universell – leibhaftig als Herz, Pulsschlag, als Licht der Welt, im Lebensbrot, in Begegnungen, als Tür zum Leben.
Diese Lebenstür, die durch Engen führt und zugleich weites Land eröffnet, ist lebenswirksam als geistliche Tür all der Türen, durch die wir hindurchgehen, der Etappen, die wir durchschreiten und der Reifungsprozesse, die wir erfahren. Die Türerlebnisse jedes einzelnen Menschen sind sehr persönlich, sein Eigen; was jedoch alle Menschen darin verbindet, ist die Bewusstheit.
Jesu Bildwort von der Tür verstehe ich als Lebenssymbol der Bewusstheit, als bewussten Akt des Glaubens: Ich vertraue ihm, Jesus Christus, der die ganze Schöpfung heimholt, ich verlass’ mich auf ihn und sein Wort im Leben und im Sterben - im Türbogen seiner Gegenwart. «Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und er wird ein und ausgehen und Weide (‹Lebensland›) finden» (Joh 10,9).
Antonie Aebersold-Stängl, Gemeindeleiterin in St. Mauritius Frutigen, verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern. Autorenportraits