Soviel Leid. Und gleichzeitig Trost und Barmherzigkeit. Ein kleines Engelchen kümmert sich um Jesus vor dessen Auferstehung. Gallerie dell’Accademia, Venedig. Marco Basaiti, 1470/75, Cristo morto tra due angioletti. Foto: Andreas Krummenacher

Über grundlegende Glaubensfragen

04.11.2015

Fachstelle Religionspädagogik

Unser Leben fordert uns ständig mit positiven oder negativen Überraschungen heraus. Vor allem die leidvollen Seiten drücken auf unser Wohlbefinden. Auf der Suche nach Antworten müssen wir manche Fragen aushalten. Warum lässt Gott Leid zu? – Oder verschulden Menschen ihr Leid selbst? «Ich habe immer wieder dafür gebetet, Gott möge meiner Mutter helfen. Aber sie ist doch gestorben », klagte ein Schüler. Solche Erlebnisse gehören zu den dichteren Erfahrungen eines Katecheten, einer Katechetin im Religionsunterricht. Das Gespräch darüber birgt Gefahren und Chancen, zu grundlegenden Glaubensfragen vorzustossen.

Im Alten Testament der Bibel finden wir viele solcher Fragen und Erfahrungen. Prophetische Bücher setzen sich ganz besonders mit leidvollen und fragwürdigen Lebenssituationen auseinander. «Was siehst du?» Diese Frage Gottes an Jeremia bleibt zeitlos. Er ist ein «Seher» mit klarem Blick für die harte Wirklichkeit. Und er sieht sie mit den Augen des Herzens – mit Gottes Augen.

In den Medien werden wir täglich mit Hiobsbotschaften konfrontiert. Wir selber sind ganz persönlich, in unseren Familien, im Freundes- und Bekanntenkreis davon betroffen. Der biblische Jeremia ringt bereits zu seiner Zeit um glaubwürdige Antworten bis an den Rand der Verzweiflung und findet zuletzt Trost und Hoffnung bei Gott.

«Was siehst du?» – Diese Frage richtet sich heute auch an uns. Wie sehen wir unsere Welt – oder wie wollen wir sie sehen? Denkanstösse im prophetischen Buch können uns helfen – auch mit Kindern und Jugendlichen – genauer hinzuschauen und darüber zu sprechen. Vielleicht drängt sich ein tagesaktuelles Ereignis auf.
Heute sind wir zum Beispiel vom Flüchtlingsstrom hautnah betroffen. Über den Religionsunterricht können wir ganz behutsam die Aufmerksamkeit auf Menschen in existenziellen Grenzsituationen richten. Schon ein schlichtes Foto von einem weinenden Kind kann dazu die Augen öffnen. Auch unsere Schülerinnen und Schüler erleben ihre eigenen und grösseren Katastrophen. Es ist u.a. Aufgabe des Religionsunterrichtes, vorbeugend zur angemessenen Wahrnehmung und einfühlenden Aufarbeitung beizutragen.

Darüber hinaus öffnet uns Jeremia die Augen für Verhalten und Ungerechtigkeiten, die damals und heute ein Thema sind. Der Prophet ist im tiefsten Sinne des Wortes ein Wahr- Sager: Er spricht Wahrheit aus.

«Du aber, was tust du? Wie kannst du in Purpur dich bekleiden, mit Goldschmuck dich zieren, dir mit Schminke die Augen weiten?» (Jer 4,30). «Sie sind doch alle vom Kleinsten bis zum Grössten nur auf Gewinn aus» (Jer 6,13) oder «Kann ein Mensch sich Götter machen? Das sind doch keine Götter» (Jer 16,20).

Glauben ist ein Tätigkeitswort. Die Auseinandersetzung mit dem Propheten Jeremia motiviert uns im eigenen Lebensalltag Anteil zu nehmen und Verantwortung zu tragen – als Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Im Religionsunterricht könnte eine Aufgabe lauten: Stell dir vor, du dürftest im Fernsehen oder via Internet eine kurze Rede an alle Kinder, alle Menschen der Welt richten: Was würdest du sagen? Schreib es auf!

Beat Zosso

_________________

Hinweis: Nach einem Text von Wolfgang Gies, Herrjemine – Jeremia für Kinder? Katechetische Blätter. Zeitschrift für Religionsunterricht, 140. Jahrgang, Heft 4/2015