Rolf Schieder, Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er beschäftigt sich mit Religionen und deren Gewaltpotential. Foto: zVg

«Und Frieden auf Erden…»

23.11.2016

Ein Gespräch mit dem Berliner Theologieprofessor Rolf Schieder über das Verhältnis von Religion und Gewalt und einen Gegenentwurf.

Im Zusammenhang mit dem Semesterthema «Auf Kriegsfuss. Religion und Gewalt» findet im Haus der Religionen am 4. Dezember eine Tagung statt, die sich mit dem Gewalt- und Friedenspotenzial der Religionen beschäftigt und mit einer Klangchronik zu Ehren von Martin Luther King ein Vorbild der Gewaltfreiheit ehrt.

Den Hauptvortrag hält der Berliner Theologieprofessor Rolf Schieder. Im Gespräch mit Brigitta Rotach denkt er über das Verhältnis von Religion und Gewalt nach und verrät, was er einer politischen oder religiösen Weltuntergangsstimmung entgegenhält.

Der Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt wird oft sehr schnell hergestellt. Wie gefährlich sind Religionen?
Rolf Schieder: Religiöse Menschen sind vielleicht nicht an Gewalt, aber an Macht interessiert, indem sie fragen: Welche Macht bestimmt mein Leben am meisten? Eine kleine Minderheit von ihnen versucht dann auch das, was sie selbst als höchste sie bestimmende Macht anerkannt hat, anderen Menschen mit Gewalt aufzudrängen. Insofern ist die Intuition, dass es sich bei der Religion um etwas Gefährliches handelt, erst mal gar nicht falsch.

Wäre es also am besten, die Religionen abzuschaffen?
Ja, aber es gibt keine Gesellschaft, der es jemals gelungen wäre, Religion abzuschaffen. Vielmehr ist es so, dass in dem Moment, wo man die traditionellen Religionen abschafft, das Religiöse sich in anderer Form zeigt. Übrigens würde ich nicht zu sehr zwischen Religion und Weltanschauung unterscheiden. Eine Religion ist eine Weltanschauung, die mit Gott rechnet, aber jeder Mensch hat eine Weltanschauung! Wer also die Religion abschaffen will, hat eine so starke Weltanschauung, dass er sogar mit Gewalt gegen die Religionen vorgehen will.

Es gibt die These, dass die monotheistischen Religionen eher zu Gewalt neigen als andere.
Der Begriff «Monotheismus», ist ein junger und ursprünglich positiv gemeinter Begriff. Man sah im Vergleich zum Polytheismus der Griechen, Römer und Germanen einen Fortschritt darin, dass man nur einen einzigen Gott kennt. Daraus ergibt sich ein das Leben bestimmendes Prinzip, zu dem ich mich verhalten muss. Im Christentum ist es die Liebe; im Alten Testament der Bund zwischen Gott und Mensch.

Das tönt sehr sachlich, aber in den Debatten um den Monotheismus haben Sie in letzten Jahren vehement mitgestritten. Warum?
Weil ich den Eindruck habe, dass es religiöse Gewalt auch heute noch gibt. Im Moment beschäftigen uns gewisse islamistische Gewalttäter. Aber die Ursachen dieser Gewalt im Gottesbegriff oder im Monotheismus zu suchen, halte ich für eine grobe Vereinfachung. Die eigentlichen Ursachen für religiöse Gewalt werden selten genannt.

Nämlich?
Ich bin an der Stelle stark vom französischen Islamforscher Olivier Roy geprägt, der darauf hinweist, dass die meisten religiösen Gewalttäter aus einem kulturell entwurzelten Milieu stammen. Überall da, wo Menschen das Gefühl haben, sie seien nicht mehr Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, ist die Neigung zu einem apokalyptischen Bewusstsein besonders gross, einem Bewusstsein, dass alles immer schlimmer wird und nur noch Gewalt hilft. Das gilt übrigens genauso für gewisse identitäre rechtspopulistische Bewegungen in Europa, die mit solchen Ängsten Stimmung machen.
Wenn man nicht mehr daran glaubt, dass Reform unsere Gesellschaft weiterbringt, wenn man nicht mit einer Zuversicht von «Yes, we can» eines Obama auf die Welt schaut, dann wird es apokalyptisch. Insofern sind diejenigen Bewegungen gefährlich, welche die Arbeit an der Apokalypse vorbereiten, ob es nun Religionen oder politische Weltanschauungen sind.

An der Tagung ist auch Martin Luther King. ein Thema. Geht sein «I have a Dream» in die gleiche Richtung wie Obamas «Yes, we can»?
Ja, ganz genau. Seit Jahren analysiere ich die Inaugurationsfeiern der US-Präsidenten. Obama hat daraus ein Bundeserneuerungsfest gemacht, eine Erinnerung an den ursprünglichen Bund, ohne dabei die realen Probleme zu beschönigen. Ich unterscheide zwischen apokalyptischem Denken und einer Exodustheologie, die getragen ist vom Bewusstsein, dass wir unterwegs sind, meinetwegen in der Wüste, aber im Vertrauen auf den Bund. Selbstverständlich ist auch Martin Luther King ganz in dieser bundestheologischen Tradition beheimatet. Denken Sie etwa an seine letzte Rede «I‘ve been to the mountain top», in der er an Mose erinnert, der vom Berg Nebo aus auf das gelobte Land sah und dabei wusste: Ich komme da nicht hin, aber ich bin auf dem Weg. Im Gegensatz zu den apokalyptischen Gewaltphantasien von Populisten oder Islamisten ist dieses tiefe Vertrauen doch etwas völlig anderes!

Interview: Brigitta Rotach, Leiterin Kulturprogramme «Haus der Religionen»

 

Tagung
«Und Frieden auf Erden...»: 4. Dezember, 10.00 bis 20.00, Haus der Religionen, Europaplatz 1, 3008 Bern. Im Zentrum steht der Vortrag des Theologen Prof. Rolf Schieder «Die Gewalt des einen Gottes». Es gibt Workshops zu Gewalttexten der verschiedenen Religionen und eine Klang- Chronik als Hommage an Martin Luther King. Eintritt frei (Kollekte), Zwischenverpflegung wird offeriert (ausser dem Mittagessen).

Infos:
www.haus-der-religionen.ch
Flyer zur Veranstaltung