Die Referent:innen mit dem Publikum der Panel-Diskussion zum Afrikatag 2024 im Haus der Religionen. Foto: Anna Sifre Alcaraz
«Unsere Realität hängt davon ab, wie wir sie beschreiben»
Afrika-Tag im Haus der Religionen
Am 1. Juni debattierte die afrikanische Diaspora im Haus der Religionen über Entkolonialisierung. Der Fokus lag auf der diskursiven Vormachtstellung westlicher Denkmuster und wie man diese im Sinne einer inklusiven Entwicklungshilfe überwinden könne.
Antonio Suárez
«Die Entwicklungshilfe wird in Bezug auf die Machtverhältnisse zwischen Geber- und Nehmerländer zunehmend infrage gestellt. Studien haben gezeigt, dass Entwicklungshilfe eine Fortsetzung kolonialer Praktiken ist», steckte die Autorin, Literaturkritikerin und Politikwissenschafterin Anna Samwel Manyanza den thematischen Rahmen der Panel-Diskussion zum Afrikatag (siehe Kasten) ab. Die Debatte kreiste daraufhin vor allem um die ideologischen Denkschemata, die das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Globalen Süden bis heute dominieren.
Neu denken und sehen
«Unsere Realität hängt davon ab, welche Begriffe wir verwenden, um sie zu beschreiben», erklärte Elisio Macamo, Professor für Soziologie und Afrikastudien der Universität Basel. «Die Sprache der Entwicklungshelfenden ist nicht einfach die Beschreibung eines Problems, sondern das Aufzwingen einer bestimmten Weltsicht. Wir werden dazu gezwungen, Afrika immerzu als Problem zu betrachten, das gelöst werden muss.»
Es gehe darum zu verstehen, dass die Welt kein unschuldiger Raum sei. Die heutige Welt sei von Europäer:innen erschaffen worden, die andere Völker zum eigenen Nutzen ausgebeutet hätten», so der mosambikanische Soziologe. «Wenn wir uns in dieser Welt besser fühlen wollen, müssen wir die Art und Weise herausfordern, wie sie beschrieben wird. Das heisst, wir müssen das Problem-Framing grundlegend überdenken.»
Erbe und Errungenschaften
In der Expertenrunde diskutierten der Schweizer Sozialanthropologe Kimon Schneider, Lehrbeauftragter am ETH-Zentrum für Entwicklung und Zusammenarbeit NADEL, die Menschenrechtsaktivistin Cheija Abdalahe aus der Westsahara und die ghanaische Agronomin und Umweltaktivistin Nana Haja Salifu Dagarti. Schneider identifizierte vor allem zwei Problemfelder: den «weissen Rassismus» und die «epistemologische Voreingenommenheit» des Westens. In diesem Zusammenhang verwies er auf Schlagwörter wie «weisse Fragilität», «weisser Blick» oder «weisses Erlösertum».
Abdalahe ihrerseits griff das «Weisser-Retter»-Syndrom auf und ergänzte die Perspektive der Entwicklungshelfenden mit jener der Empfänger:innen humanitärer Hilfe, die unter einem «DankbarkeitsKomplex» litten. Als Mitgründerin einer NGO sprach sie dabei über ihr eigenes Schicksal als Vertriebene aus der Westsahara, die als Kind in einem algerischen Flüchtlingslager aufwuchs.
Salifu Dagarti schliesslich ging aufs afrikanische Erbe ein und betonte die Bedeutung der Narrative im Entwicklungshilfediskurs. Afrikaner:innen müssten sich ihrer historischen Errungenschaften viel stärker bewusst werden. Als positives Beispiel führte sie Haiti an, dem es als ehemaligem Sklavenstaat als Erstes gelang, im frühen 19. Jahrhundert das Joch der Kolonialmächte in einer Revolution abzuschütteln. In der Diskussionsrunde thematisierten ein Äthiopier, ein Nigerianer und ein Kongolese aus dem Publikum unter anderem die teils unrühmliche Rolle afrikanischer Führungseliten, die sich zu oft unreflektiert der Sprache der ehemaligen Kolonialist:innen bedienten sowie die Frage, wie sich Afrikaner:innen selbst helfen können.
Afrikatag 2024
Am 25. Mai erinnert der Afrikatag jeweils an die Gründung der Vorgängerorganisation der Afrikanischen Union im Jahr 1963. In der Schweiz organisiert die afrikanische Community Events, um diesen Tag zu feiern. Am 1. Juni fand dazu im Berner Haus der Religionen eine Tagung zum Thema «Decolonizing Aid» statt, die das «African Diaspora Council of Switzerland» und das «Swiss African Forum» mit organisierten.