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Vergebens gehofft

18.08.2020

Alles hat Roland Weber getan, um nicht schwul zu sein - bis sich Glaube an Gott und Freude an Männern versöhnten.

Alles hat er getan, um nicht schwul zu sein: Roland Weber* besuchte einschlägige Seminare, betete und flehte, rang mit Scham- und Schuldgefühlen – bis sich Glaube an Gott und Freude an Männern versöhnten.

von Marcel Friedli


Der Moment der Klarheit. Nach langem Kämpfen, nach vielem Auf und Ab: Diese Klarheit kommt beim Abschluss des Seminars von Living Waters*, das Roland Weber von seiner Homosexualität befreien soll – und das er eben zum dritten Mal absolviert hat. «Ich fragte: ‹Wie oft muss ich das noch machen, bis es endlich hilft?›», erzählt er. Die Antwort des Leiters: Sechs, sieben Jahre – oder länger – kann das dauern. «Von diesem Moment an war mir klar, dass ich auf dem Holzweg bin. Dass diese Seminare nichts bringen. Dass sie nichts daran ändern, dass ich mich von Männern angezogen fühle», sagt Roland.

Verheissungsvoller Anfang

Obwohl alles so vielversprechend begonnen hat, damals, vor fünfundzwanzig Jahren. «Ich war voller Glauben, voller Hoffnung, ich war hochmotiviert», erzählt der 48-Jährige. «Die Informationen und die Worte der Leiter klangen äusserst verheissungsvoll. Ich war der festen Überzeugung: Hier handelt es sich um ein gut funktionierendes Instrument, mit dem sich meine sexuelle Orientierung verändert.» Roland fühlt sich – endlich – willkommen. «Hier kann ich so sein, wie ich bin: Das spürte ich rasch. In dieser mir ausweglos scheinenden Situation fühlte ich mich nicht mehr allein. Offensichtlich gab es genug Männer wie mich, um ganze Seminare zu füllen.»

Eifrig ist er fortan dabei: besucht jeweils über acht Monate fast jede Woche die halbtägigen Kursblöcke, in denen Bibeltexte studiert und diskutiert werden. In denen gebetet wird, man möge von den gleichgeschlechtlichen Gefühlen und der angeblichen Sünde befreit werden. Bei Living Waters geht man davon aus, dass die Ursache von Homosexualität in der Biografie begründet ist: weil man eine überbehütende Mutter hat und einen Vater, der abwesend ist. Diese Theorie ist für Roland plausibel, zumal sich dies mit den Erfahrungen seiner Kindheit deckt. «Darum war ich bereit, den hintersten Winkel meines Lebens auszuleuchten und zu hinterfragen.»

Doch so sehr sich Roland Mühe gibt, es will nicht klappen: «Ich ertappte mich doch immer wieder dabei, dass ich einem hübschen Mann nachschaute. Immer mal wieder hatte ich dann doch ein Date mit einem Mann – und wurde danach von heftigen Schuldgefühlen eingeholt, weil ich erneut schwach geworden und vom Weg abgekommen war.» Diese vermeintliche Niederlage getraut er in der Kleingruppe nur dann zu gestehen, wenn auch ein Kollege von einem angeblichen Ausrutscher erzählt. «Dann hiess es, dass mir vergeben werde, wenn ich dies aufrichtig bereue. Ich müsse den Kampf weiterkämpfen.»

Scham und Sehnsucht

Roland kämpft weiter. Vor seinem inneren Auge der Mann, der im Fernsehen und später bei ihm zu Hause davon erzählt hat, wie er mit den Seminaren von Living Waters heterosexuell geworden sei. «Seine Schilderungen passten perfekt in mein Puzzle. Sie zeigten mir: Wonach ich mich tief in meinem Herzen sehnte, ist möglich: nicht mehr schwul sein.» Warum Roland das nicht sein will: Er schämt sich dafür. Er will nicht zu jenen gehören, über die seine gläubigen Eltern herziehen und die gesellschaftlich geächtet sind. «Zudem wurde bei uns zu Hause kaum über Sexualität gesprochen. Sie wurde höchstens als notwendiges Übel taxiert.»

Diese Sexualmoral verbindet sich mit dem Bild, das Roland vom Mannsein vermittelt wird: Ein Mann hat und zeigt keine Schwächen, arbeitet hart, heiratet eine Frau, hat als Oberhaupt der Familie das letzte Wort. «In diesem Männerbild ist kein Platz für einen Mann, der mit einem anderen Mann zusammen ist.» Solche Vorstellungen und Vorurteile hat Roland in der Zwischenzeit hinterfragt – und hat sich mit der Zeit von ihnen befreit.

Die grosse Krise

Als Roland merkt, dass sich seine sexuelle Orientierung offenbar nicht verändern lässt, zieht er sich nach und nach aus seiner Freikirche, der Pfingstgemeinde, zurück. «Ein präventiver Rückzug ohne Worte. Denn ich wusste, dass man mich dort nie als offen schwulen Mann akzeptieren würde.» Roland rutscht in eine tiefe Glaubens- und Lebenskrise. «Bis ich merkte, dass es darum ging, meine sexuelle Orientierung als Teil von mir anzunehmen. Und dass mich Gott exakt so liebt, wie ich bin. Nach und nach versöhnte ich mich mit beidem in mir: mit dem Glauben und der Homosexualität. Heute bin ich schwul und Christ, ein schwuler Christ, das geht bestens zusammen.»

Roland findet eine neue Heimat: im Zwischenraum, wo er mit anderen homosexuellen Christ*innen den Glauben leben und pflegen kann. «Damit hat sich eine neue Welt geöffnet. Jedoch machen mich Erzählungen von Menschen traurig, die wegen ihrer Homosexualität aus ihren Gemeinden herausgeworfen worden sind.» Heute akzeptiert sich Roland, wie er ist: als schwuler christlicher Mann. Trotz der schmerzlichen Erkenntnis habe er dank der Seminare einiges über sich gelernt. «Aber ich bin froh, habe ich mich nicht zu Frau und Kindern drängen lassen. Ein Coming-out als Ehemann und Familienvater verursacht viel Leid – ebenso, wenn man diese Seite an sich nicht akzeptiert und ein Doppelleben führt.»

*Roland Weber, 48, lebt im Kanton Bern und arbeitet als Sachbearbeiter. Drei Mal hat er das Seminar von Desert Stream Ministries (Living Waters) absolviert, eine US-amerikanische Organisation, die homosexuelle Menschen in die Heterosexualität führen will. Weitere ähnliche Organisationen sind zum Beispiel: Chrischona-Freikirche, Freie Evangelische Kirche, Wüstenstrom, Torrents de Vie, Growing Life usw. Heute pflegt er seinen Glauben im Zwischenraum, zusammen mit anderen homosexuellen Christ*innen.
www.zwischenraum-schweiz.ch

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Politisch aktuell

Letzten September wurde eine Motion eingereicht, die (angebliche) Heilung von minderjährigen homosexuellen Jugendlichen mittels Konversionstherapien verbieten will. «Hinter solchen Behandlungen steht eine Idee, die nicht mehr dem Erkenntnisstand der Wissenschaft entspricht», sagt Hansruedi Huber, Mediensprecher des Bistums Basel, dazu. «Homosexualität ist angeboren und keine Krankheit, die therapiert werden muss.»

Mit ähnlicher Argumentation hat der Bundesrat die Motion zur Ablehnung empfohlen; zudem sei ein solches Verbot gesetzlich nicht umsetzbar. «Homosexualität ist keine Krankheit», betont auch Barbara Kückelmann, Pastoralverantwortliche des Bistums Basel. Sie vertritt die Bistumsleitung im Arbeitskreis Regenbogenpastoral. «Deshalb widersprechen solche Therapien dem Anliegen der Wertschätzung aller Menschen, der Achtung ihrer Würde, zutiefst. Sie können Menschen schwer schädigen.»
Schwule und lesbische Menschen würden darunter leiden, dass Aussagen des katholischen Lehramts ihre sexuelle Orientierung und Identität, ihren sexuellen Ausdruck anders werten als heterosexuelle Sexualität. «Sie sind verletzt, weil sie den Eindruck erhalten, sie seien nicht ‹richtig›. Für gläubige und suchende Menschen kann es eine grosse Belastung sein, wenn sie sich von Gott nicht wirklich akzeptiert und geliebt fühlen.»
Menschliche Liebe und persönliche Identität würden auf unterschiedliche Weise gelebt, «als sichtbare Zeichen für Gottes Präsenz in der Welt», sagt Barbara Kückelmann und verweist auf Jesus: «Er hat sich vorbehaltlos für Benachteiligte und für Menschen am Rand eingesetzt. Und er hat den Menschen ein Leben in Fülle zugesagt – allen Menschen.» Wann die erwähnte Motion in den eidgenössischen Räten behandelt wird, ist offen. In Österreich und Deutschland ist ein Verbot von Konversionstherapien bereits in Kraft.
mf

 

«Ehe für alle»

Ein weiteres politisches Diskussionsthema im Zusammenhang mit Homosexualität ist in diesen Tagen die «Ehe für alle». Gleichgeschlechtliche Paare sollen künftig zivilrechtlich heiraten dürfen. Das hat der Nationalrat im Juni beschlossen. Die Vorlage kommt jetzt und wohl im Winter in den Ständerat. Homosexuelle Paare, so sieht es das neue Gesetz vor, erhalten auch das Recht, Kinder zu adoptieren. Die grosse Parlamentskammer sprach sich zudem deutlich dafür aus, dass lesbische Ehepaare Zugang zu Samenspenden erhalten. Leihmutterschaft steht nicht zur Diskussion.

Heute können gleichgeschlechtliche Paare in vielen europäischen Ländern heiraten. In der Schweiz steht ihnen bloss die Möglichkeit offen, ihre Partnerschaft eintragen zu lassen. Dies ist aber nicht mit den gleichen Rechten und Pflichten verbunden. Unterschiede gibt es etwa bei der Einbürgerung und der gemeinschaftlichen Adoption von Kindern, die ihnen nicht erlaubt ist.

Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) will sich zum Thema «Ehe für alle» nicht näher äussern. Die politische Diskussion betreffe eine mögliche Zivilehe, das sei Sache des Staates. Die Evangelische Kirche Schweiz hat sich für die «Ehe für alle» ausgesprochen; homosexuelle Paare sollen auch kirchlich heiraten dürfen, allerdings überlässt es die EKS der individuellen Gewissensfreiheit der Pfarrer*innen. Die Partei EDU kündigte an, gegen das Gesetz das Referendum zu ergreifen, somit gäbe es zur «Ehe für alle» im nächsten Jahr eine Volksabstimmung.
kr