Das Motiv der Menschwerdung Christi ist die Vergebung: Anton Otte. Foto: zVg
Versöhnung als Lebensaufgabe
Anton Otte und die Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen. Niklas Zimmermann, Doktorand in München, erzählt die Geschichte.
Der Priester Anton Otte setzt sich seit Jahrzehnten für die Verständigung von Deutschen und Tschechen ein. Seit 1991 vertritt er die Ackermann-Gemeinde in Prag. Die Glaubensgemeinschaft vertriebener Deutscher möchte auf christlicher Grundlage die «Wunden» der Vergangenheit heilen und neue Gemeinsamkeiten schaffen.
Von Niklas Zimmermann
Von einem «historischen Ereignis» war die Rede, als der tschechische Kulturminister Daniel Herman – als erster Vertreter einer Prager Regierung überhaupt – am diesjährigen Sudetendeutschen Tag in Nürnberg auftrat. Herman bat um Vergebung für die Verbrechen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Vertreibung knapp drei Millionen Deutscher aus der Tschechoslowakei stattfanden. Vor allem prangerte der Minister die Logik der Kollektivschuld an, die dem Hass den Boden bereitete. Herman besitzt zur Thematik eine persönliche Affinität: Neben seinem Ministeramt ist der laisierte Priester auch Vorsitzender der Sdružení-Ackermann-Gemeinde, die seit den 1990erJahren als tschechische Partnerorganisation der Ackermann-Gemeinde wirkt.
Die deutsch-tschechische Dialogarbeit der Ackermann-Gemeinde wurde in den letzten 25 Jahren stark von Msgr. Anton Otte geprägt. Er wirkt seit 1991 als Repräsentant der Ackermann-Gemeinde in Tschechien. Sein Werdegang prädestiniert ihn für diese Aufgabe: Die Familie des 1939 in Weidenau (Vidnava) geborenen Priesters wurde trotz deutscher Nationalität nicht aus der Tschechoslowakei vertrieben. Otte wuchs in einer tschechischsprachigen Umgebung auf. Als Spross einer deutschen und zugleich religiösen Familie war er im kommunistischen Staat oft benachteiligt. Dennoch sagt Otte, die Erinnerungen seien nicht nur belastend. Er und seine sechs Geschwister hätten anders als manche Vertriebene in Deutschland nie hungern müssen. Schikaniert wurde Otte aber, als er wegen der angeblich negativen Einstellung der Familie zum Regime kein Theologiestudium aufnehmen konnte: «Man hat mir gesagt, dass ich nicht zugelassen werden kann, weil ich mich nicht aus dem Einfluss der Familie gelöst habe.»
1960 siedelte die Familie dann doch nach Westdeutschland über. Während des Theologiestudiums ist Otte auch erstmals mit der Ackermann-Gemeinde in Kontakt gekommen. Er sagt, er habe sich «schrecklich gefreut», dass die «Ackermänner» keine «Tschechenfeinde» gewesen waren. Genauso wie Otte eine Kollektivschuld der Deutschen ablehnt, möchte er das Prinzip nicht auf die Tschechen übertragen. Das Motiv der Menschwerdung Christi sei die Vergebung, sagt Otte. Und als Gemeinschaft von Christen sei die Ackermann-Gemeinde der Botschaft Jesu verpflichtet. Bereits vor dem Fall des Eisernen Vorhangs engagierte sich Otte in der Ackermann-Gemeinde für die verfolgten Katholiken in der Tschechoslowakei – sei dies durch sachgerechte Information über deren Situation oder durch materielle Hilfe.
Nachdem 1989 das kommunistische Regime in Prag fiel, konnten die «Ackermänner» laut Otte vom «guten Namen» profitieren, den sie dank der Osthilfe in Tschechien erworben hatten. Die Ackermann-Gemeinde nutzte die Gunst der Stunde und etablierte in Iglau (Jihlava) und Marienbad (Mariánské Láznê) politische und religiöse Dialogforen zwischen Deutschen und Tschechen. Dabei war es keineswegs so, dass die Teilnehmenden in Harmonie schwelgten. Gerade in der Vergangenheitsbeurteilung flogen häufig die Fetzen. «Zunächst mussten die Wunden geheilt werden», sagt Otte über die Diskussionen der 1990er-Jahre. Und auch die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 fand in der Ackermann-Gemeinde nur eine knappe Zustimmung.
Viele störten sich daran, dass der tschechische Staat vor allem die «Exzesse», aber nicht die Vertreibung an sich bedauerte. Für Anton Otte ist diese Debatte ein «Streit um Wörter», der nichts bringt. Nicht immer einfach war zudem das Verhältnis zur Sudetendeutschen Landsmannschaft, welche mit der Forderung nach «Wiedergewinnung der Heimat» lange einen konfrontativen Kurs fuhr. Otte sagt aber, er habe trotz Differenzen den Anspruch, politische Interessen der Sudetendeutschen zu vertreten, respektiert. Er zeigt auch Verständnis für restriktivere Positionen.
Er sagt, niemand könne behaupten: «So ist es in Tschechien gewesen.» Gerade die «Erlebnisgeneration» habe bei den Vertreibungen von 1945/1946 oft Schrecklicheres erlebt als Otte, der später freiwillig emigrierte. Ohnehin habe sich die Ackermann-Gemeinde in den letzten Jahren mehr den Gegenwarts- und Zukunftsfragen zugewandt. So diskutierte das diesjährige Dialogforum in Brünn (Brno) die Frage: «Wie viel Vielfalt vertragen unsere Gesellschaften?» Im Hinblick auf sehr unterschiedliche Ansichten in der Flüchtlingsfrage besteht zwischen Tschechen und Deutschen neuer Redebedarf.
Die Ackermann-Gemeinde
Sie leitet ihren Namen von der spätmittelalterlichen Dichtung «Der Ackermann aus Böhmen» her. Der Ackermann bekennt sich nach einem Streitgespräch mit dem Tod trotz des Verlustes seiner geliebten Frau zu seinemSchicksal. Die AckermannGemeinde wurde 1946 in Deutschland von deutschsprachigen katholischen Vertriebenen aus Böhmen, Mähren und Schlesien gegründet. Sie setzt sich heute für Versöhnung und gute Nachbarschaft von Deutschen und Tschechen ein.
Anton Otte ist offizieller «Repräsentant» der Ackermann-Gemeinde in Tschechien. Der 77jährige residiert im Prager Emauzy Kloster.
Infos: www.ackermann-gemeinde.de