Helen Hochreutener (*1957), Dr. med., Kinderärztin, dipl. Exerzitienleiterin und geistliche Begleiterin, sie ist Kirchgemeindepräsidentin in Heiliggeist Interlaken. Foto: Pia Neuenschwander

Versöhnung von Schuld ist ein wesentliches Merkmal der Seelsorge

11.03.2015

Von Helen Hochreutener

Familie ist dort, wo Kinder sind. Eltern sind Vor­bilder, die die Kinder zu imitieren versuchen. Eltern haben somit einen prägenden Einfluss, ob sie es wollen oder nicht.
1. Biologisch-physisch geben Eltern ihre Gene weiter.
2. Psychosozial können Eltern ihren Kindern die nötige Gebor­genheit vermitteln, um eine gute Entwicklung zu ermöglichen. Eine sichere Bindung sowie verläss­liche, liebevolle Beziehungen in der Familie erlau­ben, eine angemessene Sprache zu finden, um respektvoll miteinander umzugehen, Konflikte zu lösen und ein gutes Selbstvertrauen zu entwi­ckeln.
3. Emotional-kognitiv können Eltern die Kinder für ein gelingendes Leben begleiten.
4. Spirituell-ethisch sind Eltern gefragt, ihren Kin­dern deren existentielle Fragen authentisch zu beantworten und ihnen lebensdienliche Werte zu vermitteln: Würde des menschlichen Lebens, Solidarität, Nachhaltigkeit.

Im Praxisalltag begegne ich einerseits guten Familienverhältnissen inkl. Patchwork-Familien (wiederverheiratete Geschiedene mit einge­brachten Kindern und/oder gemeinsamen Kin­dern), andererseits oft auch schwierigen Famili­enverhältnissen.
Herausfordernd sind folgende Familienverhältnisse: schlechte Angewohnhei­ten; chronisch-kranke und sterbende Kinder; Eltern, die keine Zeit für ihre Kinder haben; Eltern, die nicht mehr miteinander reden; Armutsbetrof­fene Familien; Eltern, die keine Grenzen setzen können; Eltern, die in der Erziehung überfordert sind; verhaltensauffällige Kinder; häusliche Gewalt und Missbrauch; Familien, deren Kinder von Mobbing betroffen sind; Familien mit Migra­tionshintergrund und Sprachschwierigkeiten.
In meine Praxis kommen auch Asylsuchende und Flüchtlingsfamilien aus dem Asylzentrum. Diese Menschen kämpfen mit Traumata, Sprach- und Kulturproblemen.

Die Bischofssynode in Rom sollte meines Erach­tens klare Unterschiede herausarbeiten zwischen den verschiedenen Ebenen ethisch, prophetisch und pastoral:
1. Ethischer Anspruch: Die Lehre soll einen Ideal­zustand, eine Vision, einen Referenzpunkt beschreiben, woraufhin die Menschen in der Welt hinschauen und ihre Intention ausrichten können.
2. Profetische Stimme / vox profetica: Ich erwar­te von Theologen erstens Situationsanalysen und Hintergrundinformationen zu Fehlentwicklungen in der Gesellschaft, zweitens deren Beurteilung im Lichte des Evangeliums und drittens klare Anweisungen zum Handeln: wie Christgläubige / Christofideles auch im Nicht-Idealfall-Zustand gut handeln können.
3. Pastorale Perspektive: Wie sollen gute Seelsor­gende umgehen mit einer real existierenden, nicht-perfekten Familie?

Versöhnung von Schuld ist ein wesentliches Merkmal der Seelsorge, ebenso wie der bibli­schen Botschaft. So heisst es: «Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster den Stein.» (Joh 8,7) und «Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.» (Lk 5,32).

Heutige Väter und Mütter geben Geborgen­heit, wo Kinder eine sichere Bindung aufbauen können, und ermöglichen so liebevolle Beziehun­gen. Sie gestalten den Alltag im Vertrauen, leben in der Gegenwart, arbeiten an Konflikten, gehen mit Grenzen um und versöhnen sich. Christliche Familien haben Anteil am Sendungsauftrag der Kirche, sie leben und erziehen gegen den gesellschaftlichen Trend. Mittels guter Kommunikation über Werte und lebenspraktische Situationen setzen sich Familien mit der Pluralität auseinan­der und erziehen zur verantworteten Freiheit.

Helen Hochreutener

Zukunftsforum
Die Familie in Kirche und Welt von heute. Synodaler Prozess für die Bischofssynode zur Familie. Freitag, 20. März, 18.00–20.30. Ort: Pfarreizentrum Dreifaltigkeit, Rotonda, Sulgeneckstrasse 13, Bern. Sie sind herzlich eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen. Die Ergebnisse werden den Schweizer Bischöfen übermittelt.