Raphaël Guillet ist trans* Berater in der Berner Beratungsstelle «Checkpoint». Foto: Annalena Müller
Raphaël Guillet: «Versöhnung zwischen Kirche und trans Personen wäre enorm wichtig»
Der «Checkpoint» in Bern ist eine von drei trans Beratungsstellen schweizweit. Betroffene aus dem kirchlichen Umfeld leiden besonders, weiss Berater Raphaël Guillet.
Der «Checkpoint» in Bern ist eine von drei trans Beratungsstellen schweizweit. Auch Menschen aus dem kirchlichen Umfeld suchen hier Hilfe. Sie leiden an der Ablehnung, die sie von der Kirche erfahren.
Annalena Müller
Im «Checkpoint» weiss man von «Dignitas infinita», der Erklärung zur Menschenwürde, die der Vatikan im April 2024 veröffentlicht hat. «Ja, das haben wir mitbekommen», bestätigen Geschäftsleiterin Chantal König und der trans* Berater Raphaël Guillet.
Kirche und Aids Hilfe Bern
Auf den ersten Blick ist der «Checkpoint» ein unwahrscheinlicher Ort für Kirchenthemen. Er ist Teil der Aids Hilfe Bern und befindet sich im Stadtteil Monbijou.
Hier gibt es medizinische, präventive und psychosoziale Dienstleistungen für LGBT+ -Menschen, Sexarbeiter:innen und Migrant:innen. Und es ist einer von nur drei Orten in der Schweiz, die eine Beratung für trans* Menschen anbieten. Tatsächlich aber gibt es Verbindungen zur Kirche. «Jedes Jahr erhält die Aids Hilfe Bern Spenden und Kollekten von evangelischen und katholischen Kirchgemeinden», sagt Chantal König.
«Dignitas infinita» stösst auf Befremden
Dass der Vatikan in «Dignitas infinita» die «Gender-Theorie» als Verstoss gegen die Menschenwürde versteht, Transidentität und «geschlechtsverändernde Eingriffe» ablehnt, sorgt hier für Befremden. Im «Checkpoint» stehen weder Theorien noch Eingriffe im Zentrum, sondern Individuen, die meist ein grosser Leidensdruck zur Beratung bringt.
In Medien und Gesellschaft ist das Thema Transidentität seit einigen Monaten besonders präsent. Im Fokus der Berichterstattung stehen vor allem Minderjährige und der gesellschaftlich umstrittene Einsatz von Hormonblockern. Die Realität im «Checkpoint» ist eine andere.
Hormonblocker und Operationen selten Thema
Im Jahr 2023 kamen etwas mehr als 300 Personen in die Beratung. Im ersten Halbjahr 2024 seien es bereits 220 gewesen, sagt Raphaël Guillet. Nur ein Bruchteil davon, etwa zehn Prozent, sei minderjährig. «Die Mehrheit sind junge Erwachsene zwischen 18 und 26 Jahren. Aber ich führe Gespräche mit Personen aus allen Altersgruppen. Die älteste war 76».
Die Menschen, die zu Guillet kommen, stehen vor ihrem Coming-out oder haben Fragen zur Transition, dem Übergang vom Geburts- zum Identitätsgeschlecht. Bei der Transition geht es häufig nicht um medizinische Eingriffe. Konkrete Zahlen kann Guillet nicht nennen. Aber «nur ein sehr kleiner Teil der trans* Personen geht den Weg der operativen Geschlechtsanpassung». Vielen reiche die soziale Transition oder sie entschieden sich für Teileingriffe, so der Sozialpädagoge.
Problematische Berichterstattung
Die Medienberichterstattung der letzten Monate sehen König und Guillet zwiespältig. Natürlich habe diese geholfen, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Aber sie habe auch Verunsicherungen geschürt. Der mediale Fokus auf Minderjährige, Hormonbehandlungen und die Frage, nach dem möglichen Bereuen einer Transition, führe dazu, dass sich manche «fragen», ob sie ihren Gefühlen trauen können, so Guillet. Dies verschärfe eine ohnehin schwierige Lebenssituation zusätzlich.
Guillet hat noch nie eine Person in der Beratung gehabt, die die Transition bereue. «Das ist ein langer Prozess mit vielen Etappen. Der Prozess ist sehr individuell, und für viele endet er gar nicht in OPs.»
Etwas anderes sei die Frage des Umentscheidens. Das komme durchaus vor. Die Gründe hierfür seien vielfältig. Manche merken während des Prozesses, dass ihnen die soziale Transition genüge. Andere vertrügen die Hormonbehandlung nicht und müssten daher abbrechen. «Das wird in den Medien zu wenig differenziert und Umentscheiden mit Bereuen gleichgesetzt», sagt Guillet.
Religion ist Thema
Guillet bejaht die Frage, ob ihm auch das Thema Religion in den Gesprächen begegne. Der Berater unterliegt einer strengen Schweigepflicht und nennt daher keine Details. Aber er bestätigt, dass er bereits mehrere katholische Menschen begleitet hat. Guillet kennt Fälle, in denen Betroffene ihre Anstellung in der Kirche verloren haben, als ihre Transidentität bekannt wurde. Solche Erfahrungen «sind extrem schmerzhaft für die Betroffenen».
Kirche und Glaube seien schwierige Themen, denn viele Menschen hätten hier Verletzungen erfahren. Das gelte allgemein für die Queer-Community, nicht nur für trans* Personen. Dass das Thema vielen aber wichtig sei, sehe man nicht zuletzt an den Queer-Gottesdiensten, die immer sehr gut besucht würden. «Es gibt da also durchaus eine Sehnsucht.»
Raphaël Guillet und Chantal König hadern mit der Art, wie das Thema aktuell diskutiert wird. Ob in der medialen Öffentlichkeit oder der vatikanischen Erklärung, Transidentität werde häufig instrumentalisiert. «Es sind ideologische Debatten, in denen die Menschen vergessen gehen.» Raphaël Guillet wünscht sich, «dass wir den Mut zeigen, trans* Menschen anzuerkennen, dass wir sie würdigen und ihnen glauben.»
Queer-Gottesdienste, die es im Umfeld der Pride gibt, sind für Guillet ein wichtiger Schritt in diese Richtung. «Sie sind eine Einladung an queere Menschen, sich ein anderes Bild von der Kirche zu machen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass sowohl Kirche als auch Community das Bild ändern, das sie voneinander haben. Ich glaube, das würde vielen Menschen sehr viel bedeuten.»
Checkpoint Bern
Im Rahmen der Trans* Beratung können drei Gespräche pro Person vereinbart werden. Das Angebot ist kostenfrei.
Die Anmeldung erfolgt online auf www.checkpoint-be.ch
Bern Pride
Am 3. August findet die Bern Pride statt.Ort & Zeit: 14.40 Besammlung Schützenmatte15.00 Demonstrationsumzug zum Bundesplatz und dem Pride Festival
Pride-Gottesdienst
Am 4. August wird ein ökumenischer Pride-Gottesdienst gefeiert.Ort & Zeit: Kirche St. Peter und Paul, 13.00-14.00 Uhr
Weitere Informationen: www.bernpride.ch