Plakataktion in Bern: eines der entstellten Gesichter. Foto: zVg
Verstörende Vandalenakte
Rassismus in Bern
Dreissig Plakate auf dem Bahnhofplatz Bern zeigten vom 6. bis 15. Juni Menschen in Seenot, viele aus Afrika, gerettet von der «Seenotrettung SOS Méditerranée». Acht dieser weit sichtbaren Plakate im öffentlichen Raum wurden wenige Tage nach Eröffnung geschändet. Ratlosigkeit herrscht.
Von Hannah Einhaus
Bern tut viel gegen Rassimus. Bern führt seit zehn Jahren die «Aktionswoche gegen Rassimus» durch. Bern hat eine Fachstelle für Integration, die auch gegen Diskriminierungen sensibilisiert. Bern ist geprägt von einem weltoffenen Klima. «In Bern hat Rassismus keinen Platz», deklariert die Stadt wiederholt auf Plakaten. Und doch wurde der stark frequentierte Bahnhofplatz Berns Anfang Juni zu einem Ort rassistischer Vandalenakte: Ausgestellt waren dort vom 6. bis 15. Juni dreissig Plakate mit Porträts von Menschen, die durch die «Seenotrettung SOS Méditerranée» gerettet wurden, viele von ihnen aus Schwarzafrika.
Neben Porträts zeigen einige Bilder auch Menschen in Seenot oder Gerettete bei den Helfern der Organisation. Die Ausstellung gibt Einblick in die unvorstellbare Not von schiffbrüchigen Flüchtlingen, die Verhältnisse auf dem Rettungsschiff, die ärztliche Versorgung und zeigt Momente der Ankunft in einem Hafen. Kaum waren die Plakate aufgestellt, wurden acht von ihnen verkratzt, und zwar ausschliesslich auf den Gesichtern geflüchteter Afrikanerinnen und Afrikaner, sogar bei einem Baby. Eine rassistische Motivation ist eindeutig. Der Sachschaden wird nach Angaben von Projektleiter und Heiliggeist-Pfarrer Andreas Nufer auf 10'000 Franken geschätzt.
Die Ausstellung kam durch die Zusammenarbeit der Organisation «Seenotrettung SOS Méditerranée» mit dem Berner Verein «offene kirche» zustande. Letzterer wird auch von der Römisch-Katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern mitgetragen. Die Organisatoren zeigen sich gemäss einer Mitteilung «schockiert», haben aber entschieden, die Ausstellung stehen zu lassen und Anzeige zu erstatten. Ein zusätzliches Plakat weist nun auf diese Tat hin. «Wir werden uns auch weiterhin für die Seenotrettung und gegen alle Arten von Rassismus engagieren. Black Lives Matter», schreibt die «offene Kirche». Mit «Black Lives Matter» knüpft sie an die aktuelle Bewegung gegen die rassistischen Übergriffe der US-amerikanischen Polizei gegen Schwarze an. Sie hat in den sozialen Medien einige Bilder beschädigten Bilder publiziert.
Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried erfuhr von den Vandalenakten erst auf Anfrage des «pfarrblatt». Am Eröffnungsapéro der Ausstellung hatte er sich mitfühlend geäussert: «Wir dürfen uns heute nicht abwenden, denn wir sind mitverantwortlich für das Schicksal der Menschen auf der Flucht, im Mittelmeer und anderswo.» Die verschandelten Bilder auf dem Bahnhofplatz umschrieb er als «verstörend». Auch wenn die Stadt Bern sich seit Jahren aktiv und proaktiv gegen Rassismus einsetzt, zeigt sich der Stadtpräsident offen für neue geeignete Mittel, um dagegen anzukommen. Er nennt aber auch das Dilemma, solchen Aktionen «nicht eine Sichtbarkeit zu geben, die sie nicht verdienen». An Orten wie dem Bahnhofplatz mit Tausenden Passanten jeden Tag erhalten solche Aktionen jedoch unvermeidbar grosse Aufmerksamkeit. Die Ausstellung auf dem Bahnhofplatz neben der Heiliggeistkirche wurde wie geplant am 15. Juni abgebaut und ist nun vom 15. bis 23. Juni weiterhin in Wabern auf dem Weg zur Gurtenbahn zu sehen.
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Zum Flüchtlingstag
Am 20. Juni, zum Flüchtlingstag, wurde die Heiliggeistkirche während 24 Stunden zum Schauplatz der der
Aktion «Beim Namen nennen», an der rund 38 700 Namen von Flüchtlingen verlesen wurden, die seit 1993 an den Aussengrenzen Europas ums Leben gekommen sind. Ihre Namen wurden zudem auf Stoffstreifen geschrieben, die noch an der Fassade der Heiliggeistkirche zu sehen sind. So protestieren die Kirchen in Bern und 112 Organisationen gegen diese vermeidbaren Todesfälle.